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Streaming & Co.: Netzbetreiber fürchten Netzüberlast

Wer seine Filme im Netz streamt, kennt das Problem. Manchmal ruckelt es gewaltig. Die Netz­betreiber müssen massiv aufrüsten, klagen aber darüber, dass sie diese Mehr­kosten nicht ersetzt bekommen. Kann die Politik helfen?
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Norma­ler­weise sind sie Konkur­renten. Aber manchmal gibt es Situa­tionen, wo die Großen der Bran­chen an einem Strick ziehen. Vier Vorstands­vor­sit­zende von vier großen euro­päisch und welt­weit tätigen Unter­nehmen haben einen Brief geschrieben:

Rasante Zunahme digi­taler Akti­vitäten

Den vier europäischen Netzbetreibern Telefónica, Telekom, Orange und Vodafone bereiten Streamingdienste wie Netflix gewaltig Kopfzerbrechen. Den vier europäischen Netzbetreibern Telefónica, Telekom, Orange und Vodafone bereiten Streamingdienste wie Netflix gewaltig Kopfzerbrechen.
Logos: Anbieter, Montage: teltarif.de
Den vier Unter­nehmen geht es um die rasante Zunahme digi­taler Akti­vitäten welt­weit. Die Konnek­tivität sei "für unsere Gesell­schaft, unsere Wirt­schaft und letzt­lich für unser tägli­ches Leben" einfach uner­läss­lich, stellen sie fest. Der Daten­ver­kehr, der jähr­lich um bis zu 50 Prozent zunimmt, sei der entschei­dende Faktor für die Größe und Kapa­zität unserer Netze. Bis dahin kann wohl Jeder­mann folgen.

Dann beteuern sie, massiv in die Aufrüs­tung ihrer Netz­infra­struktur und die Erhö­hung der Kapa­zität inves­tiert zu haben. Und dank dieser Inves­titionen konnten die Kommu­nika­tion und das Internet auch während der Covid-19-Krise in Europa trotz der Spit­zen­belas­tung im Fest­netz- und Mobil­funk­bereich aufrecht­erhalten werden. Sie betonen weiter, dass konti­nuier­liche Inves­titionen von grund­legender Bedeu­tung seien, um den unein­geschränkten Zugang und die Teil­nahme der Bürger an unserer digi­talen Gesell­schaft zu gewähr­leisten.

Untrag­bare Situa­tion

Und kommen zum Punkt: "Die derzei­tige Situa­tion ist einfach nicht tragbar. Die Inves­titi­ons­last muss in einem ange­mes­seneren Verhältnis verteilt werden. Heute entfallen über 70 Prozent des gesamten Daten­ver­kehrs in den Netzen auf Video­strea­ming, Spiele und soziale Medien, die von einigen wenigen Platt­formen für digi­tale Inhalte stammen. Die digi­talen Platt­formen profi­tieren von stark skalie­renden Geschäfts­modellen zu geringen Kosten, während die Netz­betreiber die erfor­der­lichen Inves­titionen in die Konnek­tivität schul­tern. Gleich­zeitig befinden sich unsere Endkun­den­märkte in Bezug auf die Renta­bilität in einem stän­digen Nieder­gang."

Ungleiche Verhält­nisse?

Gegen­wärtig seien die Netz­betreiber nicht in der Lage, mit diesen riesigen Platt­formen faire Bedin­gungen auszu­han­deln, da diese über eine starke Markt­posi­tion verfügen, eine asym­metri­sche Verhand­lungs­macht haben und keine glei­chen regu­lato­rischen Bedin­gungen vorfänden. Infol­gedessen könnten die vier Unter­nehmen "keine trag­fähige Rendite für die sehr umfang­rei­chen Inves­titionen erzielen", was die weitere Entwick­lung der Infra­struktur gefährde.

Höhere Qualität, stei­gende Daten­mengen

Da die großen Platt­formen für digi­tale Inhalte ständig auf eine höhere Qualität des Strea­mings drängen, werde der sprung­hafte Anstieg des Daten­ver­kehrs, den wir derzeit erleben, unauf­haltsam zunehmen, sagen sie voraus und malen schwarz: "Wenn wir diese unaus­gewo­gene Situa­tion nicht in den Griff bekommen, wird Europa gegen­über anderen Welt­regionen zurück­fallen, was letzt­lich die Qualität des Erleb­nisses für alle Verbrau­cher verschlech­tert."

In anderen Teilen der Welt gebe es bereits Anzei­chen für einen Wandel. In Südkorea werde ein natio­nales Gesetz erör­tert, das die regu­lato­rischen Voraus­set­zungen für einen gerech­teren Beitrag zu den Netz­kosten schaffen soll. Dies geschehe im Anschluss an einen Rechts­streit, der durch die Serie "Squid Game" ausge­löst wurde. In den USA strebten die poli­tischen Entschei­dungs­träger einen Univer­sal­dienst an, der auch durch digi­tale Platt­formen finan­ziert werde.

Solche gemein­samen Inves­titionen seien auch für die Förde­rung umwelt­freund­licher Konnek­tivität und digi­taler Tech­nolo­gien von entschei­dender Bedeu­tung, die zu einer nach­hal­tigeren Wirt­schaft beitragen und Effi­zienz­stei­gerungen bewirken könne, wodurch die inter­natio­nale Führungs­rolle Europas im Bereich Umwelt und die Schaf­fung umwelt­freund­licher Arbeits­plätze gestärkt würde.

Daten­mengen opti­mieren?

Ohne einen "Preis" für die emit­tierten Daten­mengen, werde der Anreiz für große Inhal­tean­bieter, ihren Daten­ver­kehr zu opti­mieren, gering bleiben.

Gehör in Brüssel

Mit ihrer Klage hatten sich die vier Unter­nehmen an die Euro­päi­sche Kommis­sion gewandt. Dort fanden sie ein offenes Ohr und bedanken sich: "Wir begrüßen die jüngste Zusage der Euro­päi­schen Kommis­sion, ange­mes­sene Rahmen­bedin­gungen zu entwi­ckeln, damit alle Markt­teil­nehmer, die vom digi­talen Wandel profi­tieren, (...) einen fairen und ange­mes­senen Beitrag zu den Kosten für öffent­liche Güter, Dienst­leis­tungen und Infra­struk­turen leisten".

Die Brie­feschreiber fordern die Gesetz­geber nun drin­gend auf, auf EU-Ebene Regeln einzu­führen, um diesen Grund­satz zu verwirk­lichen. "Die Uhr tickt laut", insbe­son­dere ange­sichts der enormen Inves­titionen, die noch erfor­der­lich sind, um die Konnek­tivi­täts­ziele für 2030 zu errei­chen, die von der Euro­päi­schen Kommis­sion in ihrer Mittei­lung über das Euro­päi­sche Digi­tale Jahr­zehnt fest­gelegt wurden. "Ohne eine gerechte Lösung werden wir dieses Ziel nicht errei­chen."

Die Sache ist kompli­zierter als es scheint

Das Internet besteht aus auto­nomen Netzen, die an den Über­gängen Daten austau­schen. Eigent­lich sollten diese Über­gänge jeweils für den Verbin­dungs-(Peering-)Partner kostenlos bereit­gestellt werden. Ist diese Verbin­dung über­lastet, müssten beide Partner entspre­chend nach­rüsten, jeder auf seine Kosten. Soweit die Theorie. Während klei­nere und neue Unter­nehmen hier noch gerne mitspielen, tun sich alther­gebrachte Unter­nehmen wie die Telekom und ihre euro­päi­schen Partner damit ziem­lich "schwer".

In diesem Punkt wird speziell die Deut­sche Telekom von Internet-Akti­visten seit Jahren immer wieder kriti­siert, weil die Telekom an den übli­chen Peering-Punkten kaum aktiv sei und sich schnel­lere Zugänge in ihr Netz von den Zulie­ferern extra bezahlen lassen wolle.

Verstö­rende Geschäfts­modelle

Schauen wir uns die Geschäfts­modelle an. Ein Strea­ming-Anbieter wie z.B. Netflix hat Server im Netz stehen, die bei großen Internet-Anbie­tern ange­schlossen sind. Dafür zahlt Netflix diesem Anbieter Geld. Der Internet-Anbieter reicht die Inhalte an seine Partner weiter und nach den Peering-Regeln kostet das nichts extra. Und die Daten­mengen steigen und steigen.

Ist ein Zuschauer nun beispiels­weise im Netz der Telekom, so steigt der Verkehr am Über­gabe­punkt zur Telekom stark an, die Telekom bekommt dafür aber von den Vorlie­feranten nichts. Sie könnte nun die Preise, die sie ihren eigenen End-Kunden abnimmt, entspre­chend erhöhen, müsste dann aber damit rechnen, dass die Kunden sich auf die Suche nach güns­tigeren Anbie­tern machen. Wäre es gerecht, allen Kunden mehr abzu­nehmen, auch wenn die beispiels­weise nie im Leben Netflix schauen? Oder sollte man wieder zum Daten­mengen-Preis-Modell zurück­kehren, statt der gewohnten prak­tischen Flat­rate?

Teil­weise haben die Inhalte-Anbieter ihre Netze direkt zu den Netzen der Endkunden verlän­gert und verwenden Content-Deli­very-Netz­werke (CDN), die im Netz der Endkunden aktiv sind, um die gigan­tischen Daten­mengen zwischen zu puffern.

Netz­betreiber als reine Daten­pump­sta­tion?

Es gibt aber viele Geschäfts­modelle im Internet, bei denen der Internet-Anbieter des Endkunden nur noch Daten­mengen von fremden Anbieter durch­pumpt, aber daran keine eigenen Einnahmen hat. Das sorgt für Frust. Die Endkunden verlangen immer bessere Qualität. Die Netz­betreiber sind aber gezwungen, ihre in die Jahre gekom­menen Kupfer­netze schnellst­mög­lichst durch Glas­faser­netze zu ersetzen.

Die Kunden beharren darauf, möglichst wenig zu bezahlen. Ein Giga-Anschluss mit 1 GBit/s Down­load kann im Sonder­angebot für 39 Euro im Monat ange­boten werden, übli­cher sind Preise von 80 bis 120 Euro im Monat. Verständ­lich, dass das für viele Kunden jenseits der Schmerz­grenze liegt.

Wenn nun aber die Telekom-Netz­betreiber durch­setzen könnten, das Anbieter wie Netflix eine Art "Netz-Maut" bezahlen müssen, ist zu erwarten, dass die Abon­nement-Preise steigen dürften, was bei den Kunden sicher zu einer Abwan­derung führen wird. Bleibt ein Netz­betreiber eisern und rüstet nicht auf, so muss er auch damit rechnen, dass ihm Kunden abhanden kommen, sofern auch nur ein alter­nativer, eini­ger­massen zuver­läs­siger Anbieter auftaucht.

Neuer Grau­markt?

Greift die Politik ein und verordnet Einlie­ferungs­preise für die Strea­ming-Anbieter, könnten diese auch "Nein" sagen und die Belie­ferung nach Europa einstellen. Dann entsteht ein Markt für "Grau-Anbieter", welche diese Inhalte auf "Umwegen" doch nach Europa liefern und damit Geld verdienen wollen, Rechts­lage hin oder her.

Was bleibt?

Am Ende bleibt die Wahl zwischen Pest und Cholera:

  • Es ändert sich nichts, die Netze laufen voll und Strea­ming-Inhalte ruckeln.
  • Die Politik greift ein: Die Inhalte-Liefe­ranten legen den neuen Wegzoll auf ihre Abo-Preise um, die dann der Kunde zahlt - oder auch nicht.
  • Die Netz­betreiber müssen massiv aufrüsten und legen das auf ihre Zugangs­preise um. Die Kunden werden schauen, ob es güns­tigere Alter­nativen gibt.
Aktuell hat RTL+ einen Deal mit dem Time-Warner Konzern geschlossen.

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