Droht der Kollaps auf der Daten-Autobahn?
Die 800-Megahertz-Frequenzen (von Fachleuten als Band 20 bezeichnet) sind für Stephan Korehnke, Leiter Regulierung bei Vodafone in Deutschland, "die A3 des Mobilfunks". Für Leser, die nicht zwischen Main und Rhein zu Hause sind: Die A3 ist eine wichtige Autobahn, die Frankfurt/Main mit Köln und Düsseldorf verbindet und oft durch Staus geplagt wird.
Stephan Korehnke leitet den Bereich Regulierung bei Vodafone Deutschland.
Bild: Vodafone Deutschland
Korehnke bringt dazu ein plastisches Beispiel: "Stellen Sie sich eine Autobahn-Baustelle vor, auf der kaum jemand arbeitet. Stunden im Stau, weil die Fahrbahn plötzlich schmaler wird. Das nervt!" Und weiter: "Viele Millionen Pendler, die jeden Tag im Schnecken-Tempo zur Arbeit und nach Hause fahren, wissen, wovon ich spreche. Ein ähnliches Horrorszenario dräut uns im Mobilfunk: Wir könnten zur Nation der gesperrten Fahrbahnen werden, wenn wir jetzt die falschen Entscheidungen treffen. Auf Deutschlands größter Daten-Autobahn droht der Kollaps." Korehnke fürchtet, dass aus dreispurigen Streckenabschnitten plötzlich zweispurige werden könnten – inmitten der Hauptverkehrszeit.
Was hat das nun mit Mobilfunk zu tun?
Es geht um Frequenzbereiche, über die täglich große Datenmengen Daten quer durch Deutschland transportiert werden. Diese Bereiche könnten "gesperrt" werden. Sein Alptraum: "Womöglich blieben sie danach für viele Jahre ungenutzt. Ein Szenario, das wir dringend vermeiden sollten." Sie verstehen nur Bahnhof?
Die 800-Megahertz-Frequenzen: Die A3 des Mobilfunks
Droht ein Dauerstau und Verkehrszusammenbruch auf der Datenautobahn?
Foto: Vodafone Deutschland
Dreh- und Angelpunkt der aktuellen Diskussion sind die Mobilfunkfrequenzen bei 800 MHz, deren Nutzungsrechte im Jahre 2025 auslaufen werden. Sie sind besonders wichtig, um Deutschland flächig mit schnellem Netz (aktuell zumeist 4G/LTE) zu versorgen – nicht nur auf dem Land, sondern auch in der Stadt. Um Deutschland mehr oder weniger "flächendeckend" mit 4G-Mobilfunk zu versorgen, sind sie seit vielen Jahren die am stärksten befahrene Datenautobahn Deutschlands.
Die drei etablierten Netzbetreiber Telekom, Telefónica und Vodafone hätten diese Daten-Fahrbahnen über viele Jahre "so ausgebaut, dass Millionen Kunden sie mit ihren Handys nutzen können". Korehnke ist sich bewusst, dass der Verkehr noch nicht perfekt rollt. "Nein – es gibt noch immer nervige Funklöcher und mancherorts ruckelt es", räumt er freimütig ein und verspricht: "Wir wollen und müssen noch besser werden."
Vodafone verbessert Netzausbau
In der Tat: Gerade zuletzt seien deutliche Verbesserungen bei der Mobilfunkversorgung erzielt worden. Ist man bei Vodafone "wach" geworden? Oder spielen auch drohende Sanktionen (Strafen) der Netzagentur eine Rolle? Korehnke sieht sich bei der Erreichung der zentralen Versorgungsziele auf der Zielgeraden. Und da spielen für ihn und seine Mitbewerber die 800-Megahertz-Frequenzen eine wichtige Rolle.
Wie könnte es weitergehen?
Bei einer Frequenzversteigerung würden diese gut gefüllten Frequenzen nicht mehr an drei, sondern an vier Anbieter vergeben. Man kann leicht nachvollziehen, dass danach jeder Anbieter weniger als vorher bekommt. Oder ein Anbieter muss richtig viel Geld ausgeben, um die gleiche Frequenzmenge wie vorher zu bekommen. Dafür bekäme ein anderer Anbieter weniger oder gar nichts. Was das bedeutet, ist klar: Der Anbieter ohne oder mit zu wenigen Frequenzen kann den Betrieb im Prinzip einstellen oder müsste evtl. mit einem Wettbewerber über eine Mitnutzung sprechen. Eine Pflicht dazu gibt es aber nicht.
Das wird für die Branche zur Kernfrage: Hilft eine Neuvergabe der Frequenzen unter nunmehr vier Spielern beim weiteren Ausbau von Deutschlands größter Daten-Autobahn? Oder bremst sie Millionen Smartphone-Nutzer aus, die zuletzt im Mobilfunk sogar deutlich an Geschwindigkeit dazugewonnen haben?
Klar ist: Nach einer Auktion unter vier Bietern hätten die etablierten Anbieter (Telekom, Vodafone, Telefónica) weniger als vorher, der neue Anbieter (1&1) könnte aber gar nicht so schnell sein eigenes Netz aufbauen, um diese Frequenzen zu nutzen.
Korehnke hat, wie seine Kollegen bei der Telekom und Telefónica (o2), eine klare Meinung: "Wir müssen eine Neuvergabe der Flächenfrequenzen im 800-MHz-Bereich bei einer Auktion dringend vermeiden. Sonst droht der Kollaps auf der Datenautobahn. Ein Mega-Stau. Weil es schlicht zu wenig Frequenzspektrum gibt, als dass man es sinnvoll unter vier Bietern aufteilen könnte. Eine Auktion bei der aktuellen Knappheit würde dem Staat Millionen-Erlöse in die Kassen spülen. Weil niemand sich erlauben kann, auf Teile des Frequenzspektrums zu verzichten. Es droht ein ruinöses Wettbieten."
Die Zeche müssten die Kunden zahlen
Und das ist plausibel: "Noch viel höher wäre der Preis, den viele Millionen Smartphone-Nutzer zahlen müssten. Wenn Milliarden-Gelder in den Frequenzerwerb (also in Lizenzen) statt in neue Mobilfunk-Stationen fließen, bremst das den Ausbau."
Wenn einzelne Netzbetreiber nach einer langwierigen Auktion plötzlich weniger Frequenzen als vorher hätten, würde sich die Mobilfunk-Qualität schlagartig verschlechtern – vor allem auf dem Land. Die verfügbaren Bandbreiten würden schrumpfen, statt zu wachsen. Zunächst würden Funklöcher neu aufgerissen, statt geschlossen, die Netzbetreiber müssten ihr Netz quasi komplett "neu" aufbauen, z.B. durch eine Umdefinierung von Frequenzenplänen oder den Aufbau zusätzlicher Stationen mit geringerer Reichweite, um die Frequenzen öfters wiederholen zu können. Auch das kostet alles richtig viel Geld.
Die Frequenz-Baustelle könnte auch 1&1-Kunden ausbremsen
Korehnke kann den Wunsch des neuen Spielers nachvollziehen, zu den bereits ersteigerten Frequenzen bei 3,6 GHz auch Nutzungsrechte im niedrigen Frequenzbereich zu erwerben. Dieser Wunsch wäre aber nur sinnvoll, "wenn er Handy-Nutzern tatsächlich hilft, statt die Situation für sie zu verschlechtern."
Wenn die erworbenen Frequenzen in der Praxis genutzt werden, um auszubauen, wäre das ok, aber beim Neueinsteiger 1&1 dürften sie für viele Jahre erst einmal brach liegen, bis passende Sendeanlagen aufgebaut und aktiviert sind. "Für die Interessen Einzelner würden neue Funklöcher aufgerissen, über die sich fortan täglich Millionen Nutzer ärgern würden."
Auktion würde auch 1&1-Kunden schaden
Bei einer Auktion der so wichtigen Flächenfrequenzen könnten auch die 1&1-Kunden selbst durch die "künstlichen Fahrbahn-Sperrungen" auf Deutschlands größter Daten-Autobahn ausgebremst werden. Denn schließlich surfen sie dank eines Vertrags, den 1&1 mit Telefónica geschlossen hat, noch viele Jahre im o2-Netz. Die Liste der Verlierer wäre also lang, während die der Gewinner sehr kurz wäre. Korehnke plädiert deshalb dafür, "schleunigst die nächste Ausfahrt nehmen, wenden und ein Auktions-Szenario bei den 800-Megahertz-Frequenzen verhindern."
Wie könnte der Kompromiss aussehen?
Für Korehnke gibt es gute Nachrichten: "Die Bundesnetzagentur hat die besondere Knappheit der 800-Megahertz-Frequenzen und die daraus resultierenden Konsequenzen einer Auktion erkannt." Und es gibt schlechte Nachrichten: Eine einfache Verlängerung dieser Frequenzen werde es dennoch nicht geben. Weil man eine Lösung finden wolle, mit der alle Leben können – die Betreiber, die hierzulande die Netze ausbauen, all die Menschen, die täglich ihre Handys nutzen und natürlich auch 1&1.
Deshalb hatte die Bundesnetzagentur einen Kompromiss-Vorschlag erarbeitet: Die Nutzungsrechte für die 800-Megahertz-Frequenzen sollen verlängert und stattdessen die eigentlich erst 2033 auslaufenden 900-Megahertz-Frequenzen früher als geplant neu vergeben werden. Sie verfügen über ähnliche physikalische Eigenschaften, können große Flächen mit Netz versorgen.
Korehnke findet, dieser Kompromiss würde nicht das beste Ergebnis bringen, was er "Digital-Deutschland" eigentlich wünscht. "Aber er geht in die richtige Richtung, weil er das Bedürfnis aller Smartphone-Nutzer nach stabilen Netzen nicht mit Füßen tritt. Weil er die Qualitätsverluste im Mobilfunk zumindest eindämmen kann. Weil er ein ruinöses Wettbieten und einen Kollaps auf der Daten-Autobahn zu vermeiden hilft."
Von den 900-Megahertz-Frequenzen ist mehr Spektrum verfügbar. Zudem werden diese Frequenzen seit jeher nicht ausschließlich für Daten, sondern auch für Telefonie genutzt. Das erfordere weniger Platz auf der Frequenz-Fahrbahn. Die spürbaren Konsequenzen einer Auktion für Mobilfunk-Nutzer wären deutlich geringer. Es könnte zwar zu vereinzelten Verengungen auf der Fahrbahn kommen, ein Stillstand bliebe aber aus, weil die Fahrbahn weniger stark befahren sei.
Vorschlag: Schulterschluss statt Schuldzuweisungen
Ein solcher Kompromiss könne sinnvoll sein, "um endlich gemeinsam zu einer Lösung zu kommen." Für Korehnke ist klar: "Die Zeit für Diskussionen muss ein Ende finden. Wir müssen jetzt zusammen einen klaren Weg einschlagen – lieber heute als morgen." Im Interesse vieler Millionen Kunden geleitet plädiert er für: "Schulterschluss statt Schuldzuweisungen."
Korehnke wünscht sich, die Herausforderung gemeinsam zu meistern. Er plädiert für eine Lösung, welche die Branche nicht in wenigen Jahren bereuen könnte: "Hätten wir damals die richtigen Entscheidungen getroffen, dann stünden wir auf der Daten-Autobahn heute nicht im Mega-Stau."
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Es gibt nicht nur Hiobsbotschaften von Vodafone, sondern auch gute Nachrichten. In Sachen Netzausbau hat sich bei Vodafone in der Vergangenheit einiges getan, aber es reicht nicht.
1&1, der vierte Netzbetreiber, wollte bis zum Jahresende mit 1000 Stationen gestartet sein, hat aber die Komplexität eines "Netzausbau aus dem Nichts" wohl ziemlich hart überschätzt. Ok, der Ukraine-Krieg, die Explosion der (Energie-)Preise oder die (chinesische) Lieferkettenproblematik waren bei der Entscheidung für ein "eigenes" Netz vielleicht noch nicht absehbar.
Eine ideale Lösung wäre, wenn 1&1-Chef Ralph Dommermuth den Mut hätte, seine eigenen Netzpläne radikal zu beerdigen. Im Gegenzug müssten alle drei etablierten Netzbetreiber, sprich Telekom, Vodafone und o2, einen neuen Service-Providervertrag (bis hin zur Möglichkeit eines virtuellen MVNOs mit eigener Vorwahl und eigener Vermittlung) der 1&1 anbieten, damit diese ihre Kunden nach deren Wünschen in allen deutschen Netzen unterbringen kann und der Wettbewerb im Lande gewahrt bleibt. Richtig kreativ wäre ein Angebot, worin der Kunde alle Netze regional nach Verfügbarkeit wechseln kann, das gibt es bislang noch nicht.
Die Bundesnetzagentur wäre gut beraten, die Frequenzauktion mindestens auf 2033 zu verschieben und stattdessen knallharte Ausbauregeln zu erlassen, deren Nichtbefolgung ernsthafte Strafen zur Folge hätte. Die Politik muss dem Netzausbau höchste Priorität einräumen, automatische Baugenehmigungen (wenn Standards eingehalten werden) brächten Tempo. Juristische Widerstände gegen Sendestandorte müssten auf ein absolutes Minimum zurückgefahren werden können.
Wenn Herr Dommermuth nicht verzichten mag, sollte die Branche das Angebot der Bundesnetzagentur aufgreifen und schnellstmöglich eine bundesweite gemeinsame GSM-Netzgesellschaft gründen. Dadurch würden auf 900-MHz automatisch Frequenzen für "Nummer 4" frei.
Auch sollte das Prinzip MOCN (gemeinsames Nutzen von Sendeanlagen) weiter verfolgt und ausgebaut werden, auch das kann Frequenzen und vor allen Dingen Kosten sparen und bringt mehr Abdeckung für alle.
Zur Frequenzvergabe (Auktion oder nicht?) hat sich auch der Branchenexperte Prof. Torsten J. Gerpott in einem Gastbeitrag geäußert.