pauschal

Editorial: Arcor sägt am eigenen Ast

Abmahnungen von Vielnutzern statt Brückenschlag zum Kunden
Von Björn Brodersen

"Eine Marke lebt in der Wahrnehmung der Menschen. Die preisliche, emotionale und qualitative Wahrnehmung muss stimmig sein, damit aus Passanten Kunden werden. Arcor überzeugt in allen drei Komponenten. [...] Arcor ist günstig, einfach, transparent, fair, innovativ und modern." Diese Sätze stammen aus dem Fachhandelskonzept des Eschborner Telekommunikationsanbieters Arcor aus dem vergangenen Jahr. Sie passen so gar nicht zu den jüngsten Schlagzeilen über das Unternehmen: Gleich zweimal mussten wir uns mit dem Thema Flatrate-Tarife und der Behandlung von Vielnutzern durch den zweitgrößten deutschen Festnetzanbieter befassen.

Im ersten Fall hat Arcor Telefonkunden mit der Euro-Flat, die zu ausdauernd ins europäische Ausland telefoniert haben, mit einer Umstellung in einen Minutentarif gedroht, im anderen Fall hat der Anbieter den monatlichen Grundpreis der Schmalband-Flatrate für Vielnutzer auf 29,95 Euro verdoppelt. Zudem liegen uns hier Informationen von anderen Nutzern vor, nach denen man den Eindruck gewinnen kann, dass Arcor ihnen nur noch zeitbasierte Internet-by-Call-Tarife anbieten will.

Arcor selbst interpretiert die Maßnahmen etwas anders: Über die neue Internet-by-Call-Flatrate spricht das Unternehmen als einem zweiten Pauschalangebot, das die Flatrate für "Normalnutzer" ergänze – den Vieltelefonierern unterstellt es einen Missbrauch der Telefon-Flatrate für geschäftliche Zwecke. Leider stellt Arcor damit auch Telefon-Kunden, die einfach nur viele und lange Privatgespräche ins Ausland führen, unter Generalverdacht, und diese können sich nur durch eine schriftlich verfasste Erläuterung der hohen Anzahl an Telefonminuten reinwaschen.

Keiner erwartet, dass Arcor bei seinen Flatrates draufzahlt

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Keiner erwartet, dass Arcor echte Pauschaltarife zu einem Preis anbietet, der keine Gewinnmarge mehr offen lässt. Die Kalkulation eines Flatrate-Grundpreises ist schwierig, am Ende zahlt immer einer drauf – der Anbieter oder der Kunde. Je mehr das Pendel zu Gunsten des Anbieters ausschlägt, desto mehr verdient er. Warum aber setzte Arcor den Grundpreis für die Internet-Flatrate nicht gleich etwas höher an und wartete erst einmal ab, wie das Angebot von den Nutzern angenommen wird? Eine spätere Preissenkung bei zu hoch angesetztem Preisniveau wäre allerorten mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen worden. Durch die nachträgliche Preiserhöhung für Vielnutzer aber liegt der Verdacht eines Lockvogelangebots nahe.

Auch wird es niemand dem Unternehmen übel nehmen, wenn es Kunden abmahnt, die bewiesenermaßen eine für private Anwender gedachte Flatrate zu gewerblichen Zwecken einsetzen, diese damit also Geld verdienen. Ein rigides Einschreiten gegen solchen Missbrauch muss aber auch voraussetzen, dass der Anbieter seine Vertriebspartner besser kontrolliert: Immer wieder liest man Erfahrungsberichte von Ärzten oder Selbständigen, denen an der Haustür oder am Telefon die Flatrate-Tarife von Arcor oder anderen Telefonfirmen ohne Hinweis auf solche Nutzungseinschränkungen angeboten werden.

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