Untersucht

Editorial: Angriff auf das Telekommunikationsgeheimnis

Facebook will Chats automatisiert "belauschen"
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Es ist zu begrüßen, wenn sexuelle Gewalt verhindert werden kann. Andererseits ist sexueller Missbrauch das Delikt, wegen dessen am häufigsten nach Überwachung und anderen Eingriffen in die freie Kommunikation im Internet gerufen wird. Wir erinnern uns an von der Leyens Stopp-Schilder gegen Kinderpornographie, wo ebenfalls Aufwand bzw. Grundrechtseingriff (Einrichtung einer zentralen Sperr-Infrastruktur) und Nutzen (Verhinderung von Zugriffen auf einschlägige Sites für die wenigen Wochen bis zur Löschung) im Missverhältnis stehen.

Die Entdeckung von sexuellen Missbrauch an Kindern wird dadurch erschwert, dass drei Viertel der Täter aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis der Kinder kommen. Die Fälle, bei denen ein fremder Täter unmittelbar nach der Kontaktaufnahme mit dem Opfer (früher z.B. auf dem Spielplatz, heute eben auch im Internet) zur Tat schreitet, sind in der Minderheit. Wenn aber der 45-jährige Onkel seine 15-jährige Nichte einlädt, wie will Facebook dann herausfinden, was der Onkel im Schilde führt?

Wessen Strafrecht?

Hinzu kommt, dass gerade das Sexualstrafrecht in den meisten Ländern mitnichten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht, was gut und schlecht für Menschen ist, sondern einfach die jeweiligen Moralvorstellungen widerspiegelt. Im liberalen Deutschland ist einvernehmlicher Sex auch älterer Menschen mit Jugendlichen ab 14 Jahren legal (siehe § 182 StGB; illegal ist es nur, die Zwangslage oder sexuelle Unerfahrenheit des Opfers auszunutzen). Ebenso ist hierzulande Prostitution (mindestens 18-jähriger) oder die Vermittlung der Prostitution (mindestens 21-jähriger, siehe § 232 StGB) erlaubt.

Viele andere Länder haben ein höheres Schutzalter für Jugendliche, verbieten Prostitution und/oder stellen Zuhälterei auch ohne Ausnutzung der Mädchen unter Strafe. In vielen Ländern sind jeweils gar noch bestimmte Sexualpraktiken verboten, auch wenn in den diesbezüglich viel gescholtenen USA alle entsprechenden Gesetze 2003 per höchstrichterlichem Urteil außer Kraft gesetzt wurden. In vielen islamischen Ländern gibt es drastische Strafandrohungen für Ehebruch.

Was soll also Facebook tun, wenn ein deutscher Bordellbetreiber eine 21-jährige Schwedin für sein Etablissement anwirbt? Nach deutschem Recht abnicken? Oder nach schwedischem Recht anzeigen? Wie soll das soziale Portal reagieren, wenn ein Verhältnis zwischen einem 22-jährigen Kalifornier und einer gleichaltrigen verheirateten Iranerin ruchbar wird? Nichts, weil das nach US-Recht legal ist? Oder beide im Iran anzeigen, worauf dann die Steinigung droht? Und was soll Facebook unternehmen, wenn derselbe 22-jährige als nächstes eine Liebesbeziehung mit einer 15-jährigen Deutschen hat? Dieses Mal nach kalifornischem Recht anzeigen, demzufolge eine mehrjährige Haftstrafe droht, oder nach deutschem Recht die Sache für legal befinden?

Abstand nehmen!

Nicht nur die Unterschiedlichkeit des internationalen Strafrechts und die sich daraus ergebenden Widersprüche sollten Facebook bewegen, die per Chat-Analyse selbst geöffnete Büchse der Pandora ganz schnell wieder zu verschließen. Auch die zu erwartenden Begehrlichkeiten von Polizei, Justiz und privaten Rechteverfolgern wie GVU und Co. sollten Facebook dazu bewegen. Wenn Facebook nach Sexualdelikten fahndet, wieso dann nicht auch nach Terrorismus, Mord und Totschlag, Drogenschmuggel und organisierter Kriminalität? Weitere, nicht ganz so schwere Delikte werden folgen. Spätestens dann, wenn man auf Facebook nicht mehr ungestraft über Jugendsünden wie Schwarzfahren oder Schwarzkopieren chatten darf, werden sich die Mitglieder angewidert in Scharen abwenden.

Doch der Kollateralschaden ist dann schon passiert. Denn Facebooks angekündigte Hilfssheriff-Funktion wird Begehrlichkeiten der Ermittlungsbehörden nicht nur gegenüber Facebook, sondern auch gegenüber anderen Internet-Portalen wecken. Und was Facebook mit Chats kann, können Tk-Unternehmen dank Spracherkennung auch für das am Handy gesprochene Wort. Am Ende stirbt das Telekommunikationsgeheimnis. Dabei ist dieses eines der wichtigsten Güter im Kampf des kleinen Mannes gegen Obrigkeit und Unterdrückung.

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