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Editorial: Und da waren die Internet-Sperren wieder da

Der Umgang mit Kinderpornographie entzweit die Koalition
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Stopp dem Stopp-Schild fordern die meisten Aktivisten
teltarif.de
Sexueller Kindesmissbrauch ist für viele der Opfer verheerend: Depressionen und Angstzustände sind nur manche der möglichen Folgen. Dass die Täter oft genug ungeschoren davonkommen, und wohl immer öfters Fotos oder gar Videos ihres perversen Treibens wie Trophäen untereinander tauschen, empfinden viele Opfer als weitere Demütigung und Perpetuierung des Geschehens. So lange die Bilder in Tauschzirkeln weitergereicht werden, fühlen sie sich so, als wäre der Missbrauch nicht zu Ende.

So ist erklärlich und verständlich, dass für Kinderpornographie in Deutschland - wie in vielen anderen Ländern - sehr strenge Regeln gelten. Hierzulande sind nicht nur Herstellung und Vertrieb von Kinderpornographie verboten, sondern bereits deren Besitz. Dabei kommt es dann auch nicht darauf an, ob ein Foto eine tatsächliche Vergewaltigung eines Kindes zeigt, oder nur eine gestellte Szene.

Weg mit dem Schmutz!

Stopp dem Stopp-Schild fordern die meisten Aktivisten
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Den Polizeibehörden kommt entsprechend die Aufgabe zu, nicht nur Kinderporno-Täter zu ermitteln, sondern auch neue Taten zu verhindern, also die Weitergabe von Kinderpornographie zu unterbinden. Angesichts der Leichtigkeit, mit der sich Foto- und Video-Dateien per USB-Stick oder per Internet-Verbindung von Computer zu Computer übertragen lassen, ist das eine wahre Sysiphos-Arbeit. Und so ist es kein Wunder, dass Polizei-Beamte nach Hilfe rufen: Die Internet-Provider sollen mithelfen, Zugriffe auf Sites mit Kinderpornographie zu unterbinden. Beispielsweise, indem sie diese auf eine andere Site mit einem Stopp-Schild umzulenken.

Ein entsprechendes Gesetz wurde noch von schwarz-rot verabschiedet, nach der letzten Bundestagswahl von schwarz-gelb dann aber außer Vollzug gesetzt: Löschen statt Sperren lautet die Devise der Liberalen. Die Verbreitung von Kinderpornographie ist nämlich weltweit verboten: Entweder explizit oder im Rahmen eines allgemeinen Verbots von Pornographie, wie es in vielen islamischen Ländern gilt. Entsprechend sollte es durch Kontakt mit den Polizeibehörden am Standort eines Servers mit Kinderpornographie gelingen, die fraglichen Inhalte löschen oder den Server bzw. zumindest die Domain vom Netz nehmen zu lassen.

Freilich ist die Kommunikation mit der Polizei im Ausland nicht immer ganz einfach: Unterschiedliche Sprachen oder der Gang von Pontius zu Pilatus, um die zuständige Stelle zu finden, können ein Löschgesuch behindern. Doch nicht nur das: Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) beklagte vor einem halben Jahr auch unzureichende Kommunikation hierzulande, etwa zwischen dem BKA und den Ländern und den Beschwerdestellen.

Am Ende muss man es daher als Erfolg werten, dass 61 Prozent der gemeldeten Kinderporno-Seiten binnen einer Woche aus dem Netz gedrängt werden konnten. Dennoch taucht wie Phoenix aus der Asche die Forderung nach den Stopp-Seiten wieder auf, kaum, dass das von der FDP durchgedrückte Testjahr abgelaufen ist. Einigen Politikern scheint die Kinderporno-Sperrliste also sehr wichtig zu sein.

Mangelnde Informationen

Das große Problem ist, dass das umfassende Verbot des Besitzes von Internet-Pornographie es für Bürger und Journalisten praktisch unmöglich macht, die wenigen offiziellen Zahlen zu prüfen. Hinzu kommt der Mangel an Zahlen an sich. Ohne diese Werte ist aber eine unbefangene Beurteilung: "Was bringt uns die Sperrliste?" überhaupt nicht möglich. Was sie uns kostet, ist hingegen in vielen Medien ausführlich diskutiert worden. Wichtigstes Kriterium dürfte weiterhin sein, dass mit der Sperrliste ein Dammbruch zugunsten der Zensur im Internet erfolgt. Heute Kinderporno, morgen dann auch rechtsradikale Inhalte, übermorgen alle irgendwie kriminellen Sites oder vermeintliche Killerspiele. Die Liste der Inhalte, die irgendwer aus mehr oder weniger legitimem Grund als unangemessen empfindet, ist lang.

Beispiel zu den unvollständigen Informationen: Was ist mit den 39 Prozent an Sites, die nicht binnen einer Woche gelöscht wurden? Werden wiederum 61 Prozent von denen in der nächsten Woche gelöscht, so dass nach zwei Wochen nur noch 39 Prozent von 39 Prozent, also nur noch 15 Prozent, am Netz sind?

Bleibt die Löschrate nämlich konstant, wären nach vier Wochen gerade noch 2 Prozent am Netz, nach acht Wochen gar nur noch ein halbes Promille. Dessentwegen lohnt die Einführung von Sperrlisten bestimmt nicht.

Gäbe es hingegen Kinderporno-Sites, die es schaffen, sich dauerhaft der Löschung zu widersetzen, könnten diese zur Basis für einen kriminellen Zirkel werden. Wenn es solche tatsächlich gibt, wären einschneidende Maßnahmen - die dann freilich über eine reine DNS-Umleitung hinausgehen müssten, um wirklich wirksam zu sein - durchaus diskussionswürdig.

Auch die ungefähren Zugriffszahlen auf die Kinderporno-Server sollten sich über Statistik-Tools wie Alexa oder Netcraft ermitteln lassen. Falls die Polizei einen Server vor Ort beschlagnahmt, sollten sich aus dem Log-File noch genauere Daten ermitteln lassen. Denn es macht schon einen Unterschied, ob der ganze Sperr-Aufwand für 10, 10.000 oder 10 Millionen Kinderporno-Konsumenten getrieben wird.

Die fehlenden Zahlen lassen befürchten, dass den Protagonisten der Stopp-Schilder das Sperren an sich wichtiger ist als die Verhinderung des Austauschens von Kinderpornographie. Zumal die aktuell diskutierten Sperren überhaupt nur das World Wide Web betreffen würden und die weiteren Kommunikationswege (E-Mail, Tauschbörsen, FTP etc.) unangetastet lassen würden. Das schreckt auf!

Immerhin hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), kurz bevor er die Nachfolge des zurückgetretenen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) antrat, einer sofortigen Aussetzung des Sperren-Stopps eine Absage erteilt und stattdessen eine eingehende Diskussion innerhalb der Regierungsparteien verlangt. Bleibt zu hoffen, dass de Maizières Nachfolger Hans-Peter Friedrich (CSU) nicht seinerseits nun einen Schnellschuss durchzieht, und dass die Diskussion in der Koalition zu Gunsten der Freiheit des Internets endet.

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