CUII: Werden Internet-Provider zur Sperrung gezwungen?
Wer als Kunde der großen deutschen Internetanbieter bestimmte Seiten im Internet aufrufen möchte, könnte künftig verstärkt bei cuii.info landen.
Screenshot/Foto/Montage: teltarif.de, Screenshot-Quelle: cuii.info
Die Einführung der Clearingstelle Urheberrecht (CUII) ging schon am 11. März 2021 fast unbemerkt vonstatten. Erst langsam haben engagierte Internet-Nutzer die Bedeutung und die Gefahren des Verfahrens erkannt und melden sich im Internet, etwa auf Twitter oder einschlägigen Seiten zu Wort.
Interessant ist die Seite cuiiliste, die einen Überblick über bereits gesperrte Seiten gibt und auch Informationen enthält, wie sich relativ einfach solche DNS-Sperren umgehen lassen.
Anfrage an die Beteiligten
Wer als Kunde der großen deutschen Internetanbieter bestimmte Seiten im Internet aufrufen möchte, könnte künftig verstärkt bei cuii.info landen.
Screenshot/Foto/Montage: teltarif.de, Screenshot-Quelle: cuii.info
Nach unserem Bericht haben wir einige der beteiligten Internet-Provider und Interessenvertreter angeschrieben. Wir wollten wissen: "Auf welcher Rechtsgrundlage greift die (Unternehmensname) so massiv in das Internet ein? Haben die Sperren eine gerichtlich bestätigte Grundlage? - Sollte (Name) nicht als Internet-Zugangs-Provider vollkommen neutral bleiben und möglichst keinerlei Inhalte filtern?"
Die Antworten trudelten teilweise recht schnell ein, auf einige warten wir noch.
Vodafone und Telekom verstecken sich hinter Bitkom
Vodafone und Telekom erklärten fast gleichlautend, dass das ein Branchen-Thema und damit der Branchenverband Bitkom zuständig sei. Bitkom hat eine Seite zu dem Thema geschaltet. Eine Anfrage von teltarif.de an den Bitkom wurde noch nicht beantwortet.
o2 verweist auf BMVI und das Kartellamt
o2 antwortete ehrlich "Das Thema ist schwere Kost". Man verwies auf die Stellungnahme des Bundesministers für Wirtschaft und Energie und fügte eine Erklärung des Kartellamtes bei, auf die wir später noch zurückkommen.
Drillisch antwortet ausführlich
überraschend ausführlich meldete sich das Unternehmen 1&1-Drillisch zu Wort:
„Das europäische Recht verpflichtet die Mitgliedstaaten der EU sicher zu stellen, dass Rechteinhaber gegen Internetzugangsanbieter vorgehen können, deren Dienste von einem Dritten zur Begehung von Urheberrechtsverletzung genutzt werden. Der Europäische Gerichtshof hatte bereits im Jahr 2014 geurteilt, dass Sperren von Webseiten ein zulässiges Mittel sind, um Urheberrechtsverletzungen über Internetzugangsanbieter zu unterbinden. Das haben inzwischen auch mehrere deutsche Gerichte, insbesondere aber der Bundesgerichtshof, bestätigt. Grundsätzlich war also klar, dass die Internetzugangsanbieter hier aktiv werden müssen.Ausweislich von Art. 3 Abs. 3 a) der Netzneutralitätsverordnung dürfen Sperren durchgeführt werden, wenn dies dazu dient, Gesetzen nachzukommen. Solche Gesetze sind insbesondere das Telemediengesetz und die Störerhaftung des BGB, welche Urheberrechteinhabern einen Sperranspruch zubilligen. Einer Gerichtsentscheidung bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut nicht. Es hat nichts mit Umgehung von Gerichten zu tun, wenn ein Internetzugangsanbieter seiner gesetzlichen Verpflichtung nachkommt.
Hier geht es ausschließlich um Webseiten, deren eindeutiger Zweck auf die massenhafte, strafbare Verletzung von Urheberrechten ausgerichtet ist. Webseiten werden erst dann mittels einer DNS-Sperre durch Internetzugangsanbieter gesperrt, wenn der Prüfungsausschuss der Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) seine ausdrückliche Empfehlung auf Basis geltender Gesetze dazu ausspricht. Dieser Ausschuss wird von ehemaligen Richtern des Bundesgerichtshofs unabhängig geführt. Die Empfehlungen sind zudem durch eine staatliche Kontrolle durch die Bundesnetzagentur abgesichert. Die Bundesnetzagentur ist die zuständige Fachbehörde zur Sicherstellung der Netzneutralität.“
VATM dafür
Der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) antwortete unter anderem: "Die Clearingstelle wird getragen von einer Allianz der größten TK-Anbieter, die - bis auf die Telekom - alle im VATM organisiert sind, sowie der wichtigsten Rechteinhaber. Sie basiert auf höchstrichterlicher Rechtsprechung und auch europäische Vorgaben und wird eng begleitet von Bundeskartellamt und insbesondere der Bundesnetzagentur, die die Empfehlungen der Clearing-Stelle prüft. Der VATM ist sich sicher, dass mit der Arbeit der Clearingstelle langwierige Streitigkeiten vor den Gerichten in vielen Fällen vermieden können. Deswegen unterstützt auch der VATM die Arbeit der Clearingstelle CUII als wichtige Instanz, um effektiv illegale Angebote im Internet dauerhaft zu unterbinden."
Bundesnetzagentur könnte gegen Clearingstelle vorgehen
Noch ausführlicher nahm die Bundesnetzagentur dazu Stellung, die nach Ansicht der Kritiker sich nur um die Netzneutralität, aber nicht um Inhalte kümmern sollte. Sie schreibt:
"Entsprechend der europäischen TSM-Verordnung (Verordnung (EU) 2015/2120) sind Verkehrsmanagementmaßnahmen wie Websitesperren nach Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 3 a TSM-VO ausnahmsweise zulässig. Und zwar nicht nur, wenn sie der Umsetzung nationalen Rechts aufgrund behördlicher oder gerichtlicher Verfügungen dienen, sondern auch dann, wenn sie erforderlich sind um "nationalen Rechtsvorschriften, denen der Internetzugangsanbieter unterliegt, ...zu entsprechen".Die BNetzA erklärt weiter, eine DNS-Sperre sei dann ausnahmsweise zulässig, wenn sie zur Durchsetzung eines gesetzlichen Sperranspruchs gegen den Internetzugangsanbieter nach § 7 Absatz 4 Telemediengesetz (TMG) /§ 7 Absatz 4 TMG analog /§ 109 Absatz 3 Medienstaatsvertrag (MStV) beziehungsweise Artikel 8 Absatz 3 Urheberrechtsrichtlinie erforderlich sei.
Entscheidend für diese Ausnahme sei, dass dem Rechteinhaber nach § 7 Absatz 4 TMG ein Anspruch gegen den Diensteanbieter auf Sperrung der Nutzung von Informationen bestehe. Voraussetzung dafür wiederum sei, dass der Rechteinhaber keine andere Möglichkeit hat, der Rechtsverletzung abzuhelfen und dass die Sperrung zumutbar und verhältnismäßig ist.
Bleibt die Frage, was ist zumutbar und verhältnismäßig? Das gibt viel Raum für Interpretationen.
Die Netzagentur weiter: "Mit der Einrichtung der Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) als Initiative von Rechteinhabern und Internetzugangsanbietern wurde ein Prüfausschuss unter Beteiligung ehemaliger BGH-Richter etabliert. Der Ausschuss prüft die Anspruchsvoraussetzungen im Hinblick auf strukturell Urheberrecht verletzende Internetseiten. Er stützt sich hierbei auf die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für Sperransprüche."
Einwand von uns: Ein ehemaliger Richter kennt sich mit dem Thema aus, ist aber kein ordentliches Gericht.
Rechtinhaber muss erfolglos gewesen sein
Die Bundesnetzagentur schränkt ein, dass der Rechteinhaber "zunächst erfolglos versucht haben" muss, gegen den Rechtsverletzenden Webseitenbetreiber vorzugehen. Das gelte auch für die Vermeidung von Overblocking, also wenn Seiten legale und illegale Inhalte enthalten. Dazu gäbe es eine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) bzw. Europäischen Gerichtshofes (EuGH), die zugrunde gelegt werde.
CUII leitet Prüfergebnis zur Netzagentur
Der CUII-Prüfausschuss leite sein Prüfergebnis beziehungsweise seine Empfehlung der Bundesnetzagentur zu. Diese geschehe auf freiwilliger Basis und auch die von der Bundesnetzagentur durchgeführte Prüfung beziehungsweise Stellungnahme erfolgt zu diesem Zeitpunkt formlos, denn die TSM-VO sieht keine Ex-ante-Prüfung, keine Genehmigungs- oder Anzeigepflichten der Internetzugangsanbieter vor.
Die Bundesnetzagentur prüfe dann jeden Einzelfall, ob die Voraussetzungen nach Artikel 3 TSM-VO vorliegen, also ob die DNS-Sperre erforderlich ist.
Die Netzagentur betont, dass Sperren, die sich auf diese Rechtsgrundlage stützen können, keine (zusätzliche) gerichtliche Bestätigung bräuchten. Es bleibe jedoch jederzeit eine gerichtliche Überprüfung oder auch eine erneute Überprüfung durch die Bundesnetzagentur möglich.
Die Zwickmühle
Soll heißen: Die Betreiber blockierter Seiten müssten eigentlich selbst vor den Kadi ziehen und sich darüber beschweren, dass ihre Seiten gesperrt werden. Doch genau das dürften die kaum tun, weil sie so einen Ansprechpartner benennen würden, der dann auch Adressat für zugrunde liegende Rechtsstreitigkeiten, um fehlende Lizenzen wäre. Ein Schelm, der böses dabei denkt.
Stattdessen machen sich die Anbieter dieser "seltsamen Seiten" im Internet lustig, veröffentlich pausenlos neue (ungefilterte) Domains, wo man die "verbotenen" Seiten doch noch finden und nutzen kann. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Seitenbetreiber die vermeintlichen Sperrungen als (unfreiwillige) Reklame für ihre Angebote sehen, der User ist ja neugierig.
Netzagentur betont offenen Zugang
Die Bundesnetzagentur betont, nach Artikel 5 Absatz 1 TSM-Verordnung sicherzustellen und zu überwachen, dass die Vorgaben zum Zugang zum offenen Internet eingehalten werden. Dazu gehöre auch die Überprüfung, ob eingerichtete DNS-Sperren mit den Vorgaben des Artikel 3 TSM-Verordnung in Einklang stehen.
Für die Netzagentur habe das freiwillige Verfahren der CUII keine präjudizielle Wirkung auf die Sach- und Rechtslage. Das bedeutet: Wenn sich nach Einrichtung einer Sperre die Sachlage ändert oder sich neue Tatsachen ergeben, die Bedenken gegen die Verordnungskonformität wecken, leite die Bundesnetzagentur ein Verfahren nach § 126 TKG ein und/oder kann ein Bußgeld gemäß § 149 TKG verhängen.
Rein Theoretisch könnte also die Netzagentur die CUII vor den Kadi zerren. Wird sie das tun?
Kartellamt hat keine Bedenken?
Das Bundeskartellamt habe offenbar keine Einwände gegen diese Clearingstelle, berichte die Seite irights.info unter Bezug auf auf das Portal des renommierten Justiz-Verlages C.H. Beck. Doch im Kartellamt sieht man durchaus Gefahren:
Gleichwohl könnten Initiativen, die die Durchsetzung der gesetzlichen Regeln in private Hände legen, problematisch sein, der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt. Es bestehe die Gefahr, dass auch rechtmäßige Wettbewerberangebote beeinträchtigt würden. Die Clearingstelle habe jedoch eine ganze Reihe von Sicherungsmechanismen dagegen vorgesehen und diese auf Anregung des Kartellamts noch verstärkt.
Wer kann klagen? Was kann der Nutzer tun?
Bleibt die Frage, ob das Thema höchstrichterlich schon ausdiskutiert ist. Wir haben die bekannte Rechtskanzlei Wilde Beuge Solmecke (WBS) um eine Stellungnahme gebeten, die wir noch nachreichen.
Eine Einschätzung von Henning Gajek
Je mehr man sich mit der Sache beschäftigt, desto entsetzter muss man feststellen, dass hier im Stillen und seit Jahren ein Kleinkrieg geführt wird, dessen Opfer weniger die "bösen" Seitenbetreiber, sondern der gemeine Internetnutzer werden könnte.
Was offenbar wenig bekannt ist: Internet-Zugangsprovider können von Gerichten gezwungen werden, Seiten zu sperren, selbst wenn sie darauf eigentlich absolut gar keine Lust haben, schon alleine, weil das technischen Aufwand und Kosten bedeutet.
Die Rechteindustrie ist frustriert, weil all ihre Versuche, den verbotenen Seitenbetreibern auf die Schliche zu kommen, in den Tiefen des Internets versanden. Nur werden sie mit diesen Sperren (ungewollt) genau zu Werbeträgern dieser Rechtepiraten, die sich einen Ast freuen und ungerührt weitermachen, bis sie erwischt werden, oder auch nicht.
Nochmal: Die Rechteindustrie muss hier viel marktwirtschaftlicher denken. Wenn nicht nur Musik, sondern auch Filme und Videos unkomplizierter und legal konsumierbar werden können, hört dieser Spuk ganz von alleine auf.
Bis dahin fehlt ein höchstrichterliches Urteil, das diesem absurden Treiben ein Ende setzt und jede Form von Zensur und Sperrungen auf ein absolutes Mindestmaß reduziert und immer und immer wieder nachkontrolliert. Es geht nicht darum. den Rechtepiraten freie Bahn zu verschaffen, sondern auf die Dauer zu verhindern, dass Begehrlichkeiten wachsen, unangenehme Seiten aller Art nach Gutsherrenart zu sperren oder schwer erreichbar zu machen.
Darf ein privater Verein wie die Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) einfach im Internet nach eigenem Geschmack Seiten sperren? Wer wäre berechtigt und könnte gegen wen wo dagegen klagen? Wir haben einen Rechtsanwalt dazu befragt.