Tonkunst

Klassische Musik bei Streaming-Diensten

Gestreamt wird nicht nur Pop oder andere moderne Richtungen, sondern auch klassische Musik. Aber Audiophile haben anspruchsvolle Hörgewohnheiten. Wir haben daher drei große Dienste getestet und erlebten Überraschungen.
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Apple Music im Klassik-Check

Der große Google-Konkurrent aus Cupertino hat einen der jüngsten Musik-Streamingdienste auf die Beine gestellt. Wir haben die Plattform bereits einem allgemeinen Test unterzogen. Im Klassik-Check zeigt sich: Suchbegriffe müssen bei Apple Music nicht nur sehr genau eingegeben werden, sondern auch möglichst vollständig. Sucht man beispielsweise nur nach "Martinu", gibt die Suchfunktion auch Ergebnisse zu "Martini" aus. Erst "Bohuslav Martinu" liefert brauchbare Ergebnisse. Werke von Antonín Dvorák werden jedoch auch unter der (falschen) Schreibweise "Dvorack" gefunden. Bei Prokowjef hingegen muss jeder Buchstabe stimmen.

Referenzaufnahmen

Wo Google und Spotify patzen, steht Apple Music gut da, versagt aber an anderer Stelle: Die Aufnahme der "Carmina Burana" unter Thomas Binkley, die eine historische Einspielung der Original-Handschrift aus dem 11. bis 13. Jahrhundert versucht, fehlt ganz. Die ungleich populärere Kantate von Carl Orff (1937) ist hingegen natürlich zahlreich vertreten. Der Beethoven-Zyklus aller Symphonien unter Roger Norrington mit dem Radio-Symphonieorchester Stuttgart ist komplett vorhanden. Dies ist nicht bei allen Streaming-Diensten der Fall. Eine sehr breite Auswahl bei Opern von Richard Strauss mit der Staatskapelle Dresden haben wir bei Apple Music gefunden, auch gab es hier die meisten Suchergebnisse bei Dukas' "Ariane et Barbe-Bleue", einem eher selten gespielten Werk.

Alben mit Bruckner-Einspielungen des aufnahme­scheuen Sergiu Celibidache gab es weniger als bei anderen Diensten. Und auch bei der Neuen Musik sieht es nicht so gut aus wie bei der Konkurrenz: Die umfangreiche Sammlung "Pierre Boulez conducts Schönberg" von Sony Classical ist nicht gelistet.

Sonstige Funktionen und Datenrate

Apple Music auf dem iPad Apples "Für Dich" zeigt sich unbeeindruckt von Interessen: Dem Klassik-Freund wird großflächig Rock empfohlen.
Screenshot: teltarif.de
Positiv: Nahtloses Abspielen ist möglich, auch beim Streamen und ohne Einstellung. Jedoch: Wie bereits in unserem Test beschrieben, bietet Apple Music kaum Einstellungs­möglichkeiten der Datenrate. Apple Music streamt mit 256 kBit/s mit dem Codec AAC+, im Mobilfunknetz ist es deutlich weniger. Apple Music unterstützt neben dem Streamen natürlich auch die Offline-Nutzung. Im Unterschied zu anderen Diensten können auch einzelne Titel heruntergeladen werden. Apple Music kann drei Monate kostenlos getestet werden. In unserem Ratgeber erfahren Sie, wie Sie das Abonnement wieder kündigen, bevor es kostenpflichtig wird.

Die Auswahl bei Apple Music ist gut. Sie füllt an manchen Stellen Lücken der Konkurrenz, zeigt aber selbst Schwächen. Komponist, Dirigent und Orchester sind meist ersichtlich. Insgesamt macht die Plattform einen übersichtlichen und freundlichen Eindruck.

Fazit: Vom ersten Eindruck nicht abschrecken lassen

Die Streaming-Dienste überraschen durch eine große Vielfalt an hochwertigen Aufnahmen unter einer unschönen Oberfläche von billigen Kompilationen. Klassik­begeisterte Hörer sollten jedoch bereits wissen, welche Einspielung sie bevorzugen und sich selbst auf die Suche machen. Die Dienste geben bis auf Einzelfälle keine guten Empfehlungen. Die ertragreichste Rubrik ist daher meist die der Alben.

Nutzer sollten beachten, dass das Streamen ein erhebliches Datenvolumen verbrauchen kann. Gerade bei klassischer Musik lohnt sich die Nutzung höherer Datenraten. Über das Mobilfunknetz reichen die ungedrosselten Kontingente dafür jedoch oftmals nicht aus. Ob zudem die Unterschiede zwischen 256 und 320 kBit/s in den verschiedenen Codecs hörbar sind, haben wir in diesem Test nicht bestimmt. Viele allgemeine Informationen und eine Übersichts­tabelle der Features und Preise finden Sie in unserem Ratgeber Musik-Flatrates im Überblick.

Referenzaufnahmen

Frühe Musik
Carmina Burana, The Benedictbeuren Manuscript c. 1300, Studio der Frühen Musik, Thomas Binkley
Renaissance
Claudio Monteverdi: L'Orfeo. John Eliot Gardiner, His Majesty's Sackbutts and Cornetts, Archiv Production
Claudio Monteverdi: L'Orfeo. Nikolaus Harnoncourt, Capella Antiqua Köln, 1969
Benchmark: Werke von Orlando di Lasso, Giovanni Pierluigi da Palestrina und Carlo Gesualdo
Barock
Johann Sebastian Bach: Goldberg-Variationen. Glenn Gould 1955 und 1981
Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion. Philippe Herreweghe 1999
Johann Sebastian Bach: Weihnachtsoratorium. Ton Koopman, 1996
Benchmark: Werke von Heinrich Schütz und Georg Philipp Telemann
Frühklassik/Wiener Klassik
Wolfgang Amadeus Mozart: Klarinettenquintett K. 581, Sabine Meyer
Ludwig van Beethoven: The 9 Symphonies, Leonard Bernstein, 1977-1979
Ludwig van Beethoven: 4. Klavierkonzert: Claudio Arrau, Royal Concertgebouw Orchestra, Bernhard Haitink
Ludwig van Beethoven: Symphonien 1 - 9, Roger Norrington, RSO Stuttgart
Benchmark: Werke von Franz Xaver Richter und Carl Stamitz
Romantik
Franz Schubert: Winterreise. Dietrich Fischer-Dieskau, Gerald Moore, 2. Einspielung von 1971
Franz Schubert: Streichquintett, Alban Berg Quartett mit Heinrich Schiff
Johannes Brahms: Symphonien Nr. 1-4, Simon Rattle, Berliner Philharmoniker, 2009
Johannes Brahms: Symphonien 1-4, Berliner Philharmoniker, Herbert von Karajan, DGG 1978
Anton Bruckner: Symphonien 1-9, Eugen Jochum, Berliner Philharmoniker, DGG 1957 - 1967
Anton Bruckner: Symphonien 1-9, Günter Wand, NDR-Symphonieorchester
Anton Bruckner: Symphonien, Sergiu Celibidache, Münchner Philharmoniker
Gustav Mahler: Symphonie-Zyklus, Leonard Bernstein, Wiener Philharmoniker u.a.
Benchmark: Hector Berlioz (Angebot abseits der Symphonie Fantastique), Antonin Dvorák (Angebot abseits der 9. Symphonie), Friedrich Kuhlau, César Franck, Charles Marie Widor
Romantische Oper
Paul Dukas: Ariane et Barbe-Bleue
Richard Strauss: Opern mit der Staatskapelle Dresden
Benchmarks: Richard Wagner: Live-Mitschnitte der Festspiele Bayreuth
Neue Musik
Igor Strawinski: Le Sacre du Printemps
Anton Webern: Das Gesamtwerk. Pierre Boulez, 2000
Neue Wiener Schule, Lasalle Quartett
Pierre Boulez conducts Schönberg
Bela Bartók: The Piano Concertos, Boulez, London Symphony Orchestra, Grimaud / Zimerman / Andsnes
Krysztof Penderecki: St. Luke Passion.
Arvo Pärt: Fratres
Sofia Gubaidulina: Offertorium, Gidon Kremer
Benchmarks: Paul Hindemith, Bohuslav Martinu

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