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Editorial: Rauf statt runter

Festnetz-Interconnection-Entgelte ändern sich in ungewohnte Richtung
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Andererseits muss die Frage erlaubt sein, welchen Sinn minutenbasierte Interconnect-Entgelte überhaupt noch haben, da Festnetz-Dienstleistungen gegenüber den Endkunden zunehmend "flat" abgerechnet werden. Hat Kunde A bei Anbieter A und Kunde B bei Anbieter B jeweils eine Flatrate, dann verdient bei einem Anruf von A zu B der Anbieter B, während in umgekehrter Richtung A die Hand aufhält. Mit welchem Recht soll derjenige der beiden Anbieter bestraft werden, dessen Kunde die Verbindungen initiiert?

"Bill and Keep" heißt ein alternatives Interconnect-Modell zwischen gleichberechtigten Netzbetreibern, bei dem jede Seite die Entgelte behält, die sie ihren Kunden in Rechnung stellte, und keinerlei Anteile davon an den Netzbetreiber des Angerufenen weiterreichen muss. Dem Modell zugrunde liegt die Erfahrung, dass bei ähnlichem Kundenverhalten die Zahl der Anrufe von A nach B und B nach A sich ungefähr die Waage hält. Bei gleich hohen IC-Entgelten sind dann auch die jeweiligen IC-Rechnungen ungefähr gleich hoch. Selbst bei demjenigen Netzbetreiber, dessen IC-Rechnungen etwas höher sind, ist unter Umständen der Kostenaufwand für die Abwicklung der IC-Abrechnung höher als der Netto-Zahlungseingang. Verzichten dann beide auf die Abrechnung, profitieren beide.

Bill and Keep: Probleme und Lösungsmöglichkeiten

Allerdings funktioniert Bill and Keep nur zwischen Anbietern mit vergleichbaren Infrastrukturkosten und vergleichbarem Kundenportfolio. So wären Call-by-Call-Anbieter durch den Wegfall der IC-Entgelte auf einen Schlag massiv gegenüber der Telekom bevorzugt. Eine mögliche Lösung wäre, die Entgelte auf der Originierungsseite zu verdoppeln, wenn sie auf der Terminierungsseite entfallen. Davon wären aber Dienste wie Internet-by-Call betroffen, wo die Verbindungen nie zurück zu einem Teilnehmer laufen. Auch ausländische Anbieter müssten jeweils eine Bill-and-Keep-Vereinbarung mit den hiesigen Festnetzbetreibern eingehen, oder weiterhin IC-Entgelte bezahlen.

Durch Interconnect-Sonderregeln für bestimmte Anbieter entsteht allerdings die Möglichkeit zum Missbrauch: Ein Festnetz-Anbieter, der mit der Deutschen Telekom gemäß dem Prinzip Bill and Keep nicht mehr abrechnet, könnte Gespräche aus fremden Netzen ohne Bill-and-Keep-Vereinbarung über sein Netz in das Netz der Deutschen Telekom schmuggeln und dafür vom fremden Netzbetreiber IC-Entgelte an der Deutschen Telekom vorbei kassieren.

Von daher kann Bill and Keep nur funktionieren, wenn es für möglichst alle relevanten Anbieter auf einen Schlag eingeführt wird, oder die Nutzung intensiv überwacht wird. Die Notwendigkeit der Überwachung vernichtet aber zumindest einen Teil des durch Nichtabrechnung entstandenen Kostenvorteils. Dennoch sollte man sie nicht von vornherein ausschließen.

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