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Editorial: Mit DVB-T2 ins Abseits

Nur ein Teil der DVB-T-Nutzer kauft neue Receiver. Die Mehrheit sucht - und findet - hingegen zahlreiche Alternativen. Eine der wichtigsten dürfte Internet-Streaming sein.
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Bild: Orion
Langsam wird es ernst: Ende März wird in den Ballungsgebieten vom bisherigen terrestrischen Digitalfernsehen DVB-T auf den neuen Standard DVB-T2 umgestellt. Davon sind Millionen Fernsehnutzer betroffen, die derzeit DVB-T empfangen und überwiegend ein noch nicht DVB-T2-kompatibles Empfangsgerät (Fernseher oder Set-Top-Box) ihr eigen nennen. Doch letzten Dezember wurden gerade einmal 79 000 DVB-T2-Receiver verkauft. Wenn die Verkaufszahlen nicht noch deutlich anziehen und im Februar und März jeweils beim Zehnfachen dieses Wertes liegen, dann bleibt ab April bei der Mehrheit der bisherigen DVB-T-Nutzer der Bildschirm dunkel. So zumindest suggerieren es die Protagonisten von DVB-T2 in ihren Werbespots.

Nun ist nicht zu erwarten, dass die Zuschauer wegen der Umstellung auf DVB-T2 künftig auf den Fernsehempfang verzichten werden. Aber viele Kunden werden nicht bereit sein, für die Fortsetzung des DVB-T-Empfangs 60 Euro oder mehr für einen Receiver und dann nochmals 69 Euro jährlich für die Smartcard für das Privatfernsehen auszugeben. Nur: Dunkel bleibt der Bildschirm deswegen noch lange nicht. Viele Zuschauer werden nämlich nach alternativen Lösungen suchen. Denn selbst bei DVB-T2 gibt es Alternativen: Nicht Smartcard-fähige Receiver kosten nur um die 40 Euro und reichen für den Empfang der öffentlich-rechtlichen Sender, auch in HD, vollkommen aus.

Receiver für Satelliten-TV liegen preislich in derselben Region wie DVB-T2-Receiver, auch die Smartcard für den HD-Empfang der privaten Sender kostet knapp 70 Euro jährlich. Dafür erhält man aber per Satellit noch mehr Sender in HD als per Antenne, bei Astra beispielsweise über 50, im Vergleich zu um die 40 bei Freenet TV via DVB-T2. Zudem war es beim Satelliten-Fernsehen bisher nicht üblich, dass die Zuschauer alle paar Jahre neue Receiver kaufen mussten. Zwar bietet DVB-T2 dank der verwendeten moderneren Codierungsstandards bei guter, störungsfreier Empfangssituation ein etwas schärferes Bild als Satelliten-Fernsehen. Die Unterschiede zu normalem Satelliten-TV sind aber gering und nur bei genauem Hinsehen überhaupt erkennbar.

DVB-T-Abschaltung als kostenlose Werbung für Streaming-Dienste

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Eine weitere Alternative ist auch Internet-Streaming. Viele in den letzten Jahren verkaufte Fernseher oder Zusatzgeräte (Spielekonsolen, Bluray-Player, Soundsysteme etc.) haben bereits Smart-TV-Funktionen eingebaut. Damit können Inhalte aus den Mediatheken der Sender wiedergegeben oder Streaming-Diensten wie Amazon Prime, Zattoo, Netflix, Maxdome und Co. genutzt werden. Wer dann noch einen schnellen Internetzugang sein eigen nennt, braucht für die Streaming-Dienste nicht mehr zu tun, als die zugehörigen Apps auf dem Fernseher aufzurufen. Die Mediatheken sind dabei ebenso umsonst wie der Basisdienst von Zattoo, mit dem man zahlreiche Sender in SD und einige wenige sogar in HD streamen kann. Die anderen genannten Streaming-Dienste und der HiQ-Dienst von Zattoo kosten zwar ein monatliches Abo, aber bevor man zahlen muss, kann man alle Dienste jeweils einen Monat lang kostenlos nutzen.

Wer die genannten Voraussetzungen (Smart-TV und Internetzugang) erfüllt, kann die DVB-T-Abschaltung Ende März also ganz in Ruhe auf sich zukommen lassen, und in den Folgemonaten erstmal die Streaming-Dienste durchprobieren. Sobald die Testmonate vorbei sind, kann man sich dann in Ruhe entscheiden, ob man mit dem auskommt, was es legal und kostenlos im Netz gibt, ob man zu einem der kostenpflichtigen Streamingdienste wechselt oder doch einen DVB-T2-Receiver mit oder ohne Smartcard erwirbt.

Die DVB-T-Abschaltung wird damit zur kostenfreien Werbung fürs Internet-Streaming. So haben das die Mediendirektoren bei der Planung von DVB-T2 bestimmt nicht beabsichtigt gehabt. Aber es ist die konsequente Folge einer Politik, die wichtige Details von DVB-T2 zu spät kommuniziert hat, so dass die Gerätehersteller die falschen Geräte an den deutschen Markt geliefert haben. Zahlreiche bis 2015 als "DVB-T2-kompatibel" verkaufte Fernsehgeräte werden am Ende nur einen Teil oder gar keine der neuen DVB-T2-Programme empfangen können. Beim Internet-Streaming oder Satelliten-Empfang haben diese Geräte hingegen meist weniger Probleme. Und die Verbraucher werden diesem Weg des geringsten Widerstands folgen.

Technisch haben wir mit DVB-T2 künftig zwar das bestmögliche terrestrische Fernsehen. Aber genau das treibt die Kosten und reduziert die Liste der kompatiblen Geräte. Genau das limitiert daher die Verbreitung. Weniger Technik-Verliebtheit wäre beim terrestrischen Fernsehen daher besser gewesen.

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