Studie

Daten von 100 000 unwissenden Handy-Nutzern ausgewertet

Forscher verfolgten Monate lang die Aufenthaltsorte übers Mobilfunk-Netz
Von Björn Brodersen

Forscher der Northeastern University in Boston haben die Handy-Daten von 100 000 Mobilfunk-Teilnehmern ausgewertet - zu wissenschaftlichen Zwecken. Anhand der über das Mobilfunknetz georteten Aufenthaltsorte der Handy-Besitzer wollten sie typische Bewegungsmuster ergründen. Allerdings: Die Handy-Nutzer, deren Daten herangezogen worden sind, haben der Verwertung dieser Daten weder zugestimmt, noch wussten sie überhaupt etwas von der über sechs Monate laufenden Ortungsaktion.

Die anonymisierten Aufenthaltsdaten stammen nach Angaben der Autoren der Studie, die im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht wurde, von einem Mobilfunk-Betreiber, der nicht genannt werden möchte. Die Autoren verraten auch nicht, in welchem Teil der Welt die Ortungen durchgeführt wurden. Es soll sich aber um eine Industrienation handeln. Deutsche Mobilfunk-Betreiber hätten sich laut "Nature" allerdings geweigert, selbst anonymisierte Daten ihrer Kunden preiszugeben.

Die Wissenschaftler werteten für ihre Studie die Uhrzeit, das Datum und die Koordinaten der Anrufe und Textnachrichten aus. Erfasst wurde dabei, aus welcher Mobilfunkzelle der Handy-Nutzer den Anruf startete oder eine SMS-Mitteilung verschickte. Dabei kamen sie zunächst zu so überraschenden Ergebnissen wie "Der Durchschnittsbürger pendelt an fünf Tagen der Woche zwischen seinem Zuhause und dem Arbeitsplatz", "Längere Reisen sind seltener als kürzere Reisen" und "Von dem normalen Verhaltensmuster gibt es Abweichungen". Ziel der Forscher ist es aber, anhand dieser Bewegungsmuster hilfreiche Maßnahmen gegen die Verbreitung von möglichen Epidemien zu entwickeln.

Heftige Reaktionen der Leser im "Nature"-Forum

Auch wenn die Namen der unwissenden Studienteilnehmer vom Mobilfunk-Betreiber nicht genannt wurden, so ruft die Studie doch nach Veröffentlichung in "Nature" teilweise heftige Reaktionen unter den Lesern hervor. Nicht nur wird im Online-Forum von "Nature" der Wert der Studie, deren Ergebnisse nicht gegengeprüft werden können, angezweifelt. Leser attestieren den an der Studie beteiligten Akteuren einen "ekelerregenden Mangel an moralischem Bewusstsein" oder bezeichnen die Studie als "Reklameschlager". Leser fordern auch, dass der Universität künftig die öffentlichen Zuschüsse gestrichen werden.

"Aufenthaltsdaten, auch in anonymisierter Form, dürfen im Allgemeinen nur zur Abwicklung von Telekommunikationsdiensten genutzt werden", sagte Christoph Klug von der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherung gegenüber der Berliner Zeitung. Handy-Nutzer in Deutschland hätten der Weitergabe ihrer Daten zustimmen müssen. "Bewegungsprofile dürfen nur mit ausdrücklicher Einwilligung des Betroffenen gemacht werden", erklärte auch Hartmut Lubomierski, Landesdatenschutzbeauftragter von Hamburg, gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit. Hierzulande dürfe nur das Bundeskriminalamt zur Aufklärung oder Verfolgung von Straftaten diese Daten verwenden. Mobilfunkanbieter verwalteten die Informationen zwar, dürften sie aber nicht herausgeben oder nutzen. Die Forschung dürfe die Daten seiner Meinung nach aber trotzdem verwenden, wenn sie völlig anonymisiert seien und keine Rückschlüsse auf die Nutzer zuließen.

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