Themenspezial: Verbraucher & Service Interview

Blaues Licht: Augenerkrankungen durch Displays?

Immer wieder geis­tern Meldungen herum, in denen vor blauem Licht in Displays gewarnt wird. Demnach drohen Netz­haut­schäden bis hin zur Blind­heit. Sind die Sorgen berech­tigt? Wir haben bei Dr. Melissa Meyer zu Hörste vom Augen-Zentrum-Nord­west nach­gefragt.
Von Björn König

Dr. Melissa Meyer zu Hörste vom Augen-Zentrum-Nordwest in Dülmen Dr. Melissa Meyer zu Hörste vom Augen-Zentrum-Nordwest in Dülmen
Bild: Dr. Melissa Meyer zu Hörste
Wenn man über das Thema Gesund­heits­gefahr bei Smart­phones spricht, ist eigent­lich immer die Rede von elek­troma­gneti­scher Strah­lung. Ganz aktuell ging es wieder einmal um ein mögli­ches Risiko im Hinblick auf den bundes­weiten Rollout der nächsten Mobil­funk­genera­tion 5G.

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Bild: Dr. Melissa Meyer zu Hörste
Während sich die Wissen­schaft schon seit Jahren darüber streitet, ob Dauer­tele­fonierer im Laufe ihres Lebens einen Hirn­tumor einkal­kulieren müssen, findet eine womög­lich viel wich­tigere Debatte kaum Beach­tung: Es geht nämlich um die Frage, ob das blaue Licht­spek­trum der Smart­phone-Displays mittel- oder lang­fristig zu Netz­haut­schäden, im schlimmsten Falle sogar zur Erblin­dung führen kann.

Völlig aus der Luft gegriffen ist die Diskus­sion ganz sicher nicht, denn dass blaues Licht nega­tive Auswir­kungen auf das mensch­liche Auge hat, wurde immer wieder in entspre­chenden Studien thema­tisiert, zuletzt sogar in Verbin­dung mit einer Warnung der fran­zösi­schen Umwelt­behörde ANSES. Dennoch gibt es unter­schied­liche Auffas­sungen darüber, wie stark sich diese letzt­endlich auswirken. teltarif.de hat aus diesem Grund bei Dr. Melissa Meyer zu Hörste vom Augen-Zentrum-Nord­west im west­fäli­schen Ahaus nach­gehakt. Ärzte des medi­zini­schen Fach­zentrums mit ange­schlos­sener Augen­klinik wurden mehr­fach von Focus Gesund­heit zu den Top-Ärzten ihres Fach­gebietes ausge­zeichnet.

teltarif.de: Frau Dr. Meyer zu Hörste, welche poten­ziellen Gefahren ergeben sich nach Ihrer Einschät­zung gene­rell aus dem blauen Licht­spek­trum für das mensch­liche Auge?

Dr. Meyer zu Hörste: Blaues und UV-Licht ist beson­ders ener­giereich und kann theo­retisch die Foto­rezep­toren (für die Farb­wahr­nehmung zustän­dige Sinnes­zellen der Netz­haut) schä­digen. Im mensch­lichen Auge befinden sich im Bereich der Makula, der Stelle des zentralen und schärfsten Sehens, gehäuft Blau­rezep­toren; eine lange Expo­sition gegen­über hoch­ener­geti­schen Parti­keln am blauen Ende des sicht­baren Licht­spek­trums könnte unter Umständen zu Schä­digung beson­ders in diesem Bereich und damit zum Beispiel zur Maku­lade­gene­ration führen.

Gibt es bestimmte Risi­kogruppen (zum Beispiel mit bereits vorhan­denen Netz­haut­erkran­kungen), denen das blaue Licht beson­ders schadet?

Das ist bislang nicht syste­matisch unter­sucht worden, jedoch ist davon auszu­gehen, dass insbe­sondere Personen mit erbli­chen Foto­rezep­torschäden oder alters­bedingter Maku­lade­gene­ration (AMD) empfind­licher auf Blau­licht­einwir­kung reagieren könnten. Einen wissen­schaft­lichen Beweis gibt es hierfür derzeit aller­dings nicht.

2007 kam mit dem Apple iPhone das erste Touch-Smart­phone über­haupt auf den Markt. Haben Sie seitdem in Ihren Studien oder dem Arbeits­alltag als Augen­ärztin eine tenden­zielle Zunahme von Netz­haut­erkran­kungen beob­achtet, die auf eine stei­gende Verbrei­tung von Smart­phone-Displays zurück­zuführen wären?

Nein, das haben wir Augen­ärzte nach meinem Kennt­nisstand noch nicht beob­achtet. Entspre­chende Lang­zeit­studien gibt es derzeit nicht. Es werden jedoch zuneh­mend andere Erkran­kungen, wie beispiels­weise das trockene Auge (durch zu seltenes Blin­zeln) oder die Zunahme der Kurz­sich­tigkeit bei jungen Menschen beob­achtet.

Welche Symptome wären für einen entspre­chenden Netz­haut­schaden charak­teris­tisch?

Dass durch Blau­licht bedingte Netz­haut­schäden vorkommen ist rein hypo­thetisch und nach meiner Einschät­zung nicht zu erwarten. Wenn dieser Fall aber dennoch eintreten würde, wären entspre­chende Symptome zunächst Farb­empfin­dungs­störungen oder unspe­zifi­sche Sehstö­rungen im zentralen Gesichts­feld.

Für manche Studien wurden Ratten sehr hohen Licht­inten­sitäten bis 30 000 Lux ausge­setzt. Sind solche Ergeb­nisse letzt­endlich über­haupt auf den Menschen in einem „normalen“ Licht­umfeld über­tragbar?

Im Grunde nicht, denn Ratten sind fast reine Stäb­chen­tiere. Ihre Netz­haut besitzt kaum Zapfen, das sind Foto­rezep­toren für die Farb- und damit auch Blau­licht­wahr­nehmung. Hohe Licht­inten­sitäten von 30 000 Lux verur­sachen unspe­zifi­sche eher ther­mische Schäden der gesamten Netz­haut. Damit sind die Ergeb­nisse solcher Versuche per se nicht direkt auf die mensch­liche Netz­haut über­tragbar.

Welche konkreten Präven­tions­maßnahmen empfehlen Sie?

Insge­samt gilt: Viele Pausen am Bild­schirm oder Smart­phone und zeit­liche Begren­zung sind für die Augen gut. Zwischen­durch immer wieder entspannt in die Ferne schauen, Blin­zeln, dazu auf eine ausrei­chende Umge­bungs­beleuch­tung achten. Zusätz­lich kann gene­rell ein über­mäßiger Blau- und UV-Licht­einfall wenn möglich redu­ziert werden, zum Beispiel durch geeig­nete UV-Schutz­brillen. Insbe­sondere nach Kata­rakt-Opera­tionen (chir­urgi­scher Austausch der körper­eigenen getrübten Linse durch eine Kunst­linse) sollte über­mäßiger Blau- und UV-Licht­einfall wenn möglich durch oben genannte Schutz­brillen redu­ziert werden. Stan­dard­mäßig setzen wir zudem unseren Pati­enten Kunst­linsen mit UV-Filter ein. Es gibt auch geson­derte Spezial-Kunst­linsen (unter anderem mit inte­griertem Blau­licht­filter) auf dem Markt.

Sind Ihnen hinsicht­lich aktu­eller Display­tech­nolo­gien (LCD, OLED/AMOLED usw.) Unter­schiede im Hinblick auf die Inten­sität des blauen Licht­spek­trums bekannt bzw. wäre eine bestimmte Tech­nologie zu bevor­zugen?

Nein, dazu ist mir nichts bekannt.

Kinder und Jugend­liche nutzen Smart­phones mitt­lerweile intensiv. Gelten für diese Perso­nengruppe beson­dere Präven­tions­hinweise?

Auch hierzu fehlen Studi­endaten bezüg­lich Netz­haut­schä­digungen. Gene­rell gilt jedoch: Gerade die kind­liche, junge Linse ist noch klar und schützt die Netz­haut kaum vor Blau­licht. Zudem wächst und reift das mensch­liche Auge bis ins Schul­alter hinein und dürfte unter anderem umso empfäng­licher für Licht-bedingte Schä­digungen sein. Gene­rell sollten Kinder­augen möglichst wenig medial belastet werden – wichtig sind hier erst recht Pausen, Ausgleich und eine zeit­lich begrenzte Anwen­dung. Meine Kinder dürfen Smart­phones nur selten und dann recht kurz verwenden.

Schäden an der Netz­haut verur­sachen keine Schmerzen. Regel­mäßige Unter­suchungen des Augen­hinter­grundes nutzen aber häufig nur Pati­enten mit bereits bestehenden Sehpro­blemen, wie z.B. starker Kurz­sich­tigkeit. Wäre es vor dem Hinter­grund dieser Debatte aus Ihrer Sicht sinn­voll, solche Unter­suchungen (verpflich­tend) auszu­weiten?

Nein, nicht verpflich­tend. Regel­mäßige augen­ärzt­liche Kontrollen sind gene­rell für alle Menschen jeden Alters zu empfehlen.

Ist es über­haupt möglich, durch blaues Licht voll­ständig zu erblinden?

Prin­zipiell könnten theo­retisch durch Blau­licht ausge­löste Foto­rezep­torschä­digungen sowie deren Unter­gang bis zur zentralen Blind­heit führen. Eine reelle Gefahr besteht meines Erach­tens für ein gesundes Auge bei einem „gesunden“ Umgang mit Blau­licht ausstrah­lenden Displays nicht. Bislang ist mir ein solcher Fall nicht bekannt und es gibt keinen wissen­schaft­lichen Beleg dafür. Da es sich darüber hinaus bei den Displays um eine vergleichs­weise neue Tech­nologie handelt, gibt es bislang keinerlei valide Lang­zeit­studien.

Wie nutzen Sie selbst Ihr Smart­phone und schützen Ihre Augen?

Auch ich ertappe mich mitt­lerweile zu häufig und zu lange beim Blick auf Smart­phone und Laptop. Ganz zu vermeiden ist das leider nicht – aber insbe­sondere abends in dunkler Umge­bung vermeide ich, zu viel und zu lange auf blau­lastige Displays zu schauen, zumal das Einschlafen dann schwerer fällt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person:

Dr. Melissa Meyer zu Hörste wurde in Tübingen geboren. Nach ihrem Medi­zinstu­dium an den Univer­sitäten Göttingen und Düssel­dorf absol­vierte sie ihre Fach­arzt­ausbil­dung an der Univer­sitäts­augen­klinik Essen sowie bei den Augen­ärzten am St.-Fran­ziskus-Hospital Münster. Zudem war sie im Rahmen eines Forschungs­aufent­halts am Massa­chusett`s Eye and Ear Infir­mary der Harvard Medical School in Boston tätig. Ihre Spezi­alge­biete sind Entzün­dungen sowie Auto­immun­erkran­kungen des Auges und der Orbita. Seit 2017 arbeitet sie für das Augen-Zentrum-Nord­west am Standort Dülmen.

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