Gutachten

GLADII: Gutachten zur Ermittlung der Redtube-Nutzung veröffentlicht

Eine Anwaltskanzlei hat das Gutachten veröffentlicht, aus dem hervorgeht, wie die Redtube-Ermittler an IP-Adressen gekommen sind. Das Gutachten bestätigt Vermutungen, die seit längerem umher geistern.
Von Hans-Georg Kluge

Redtube und kein Ende: Jetzt ist das Gutachten über die GLADII-Software in voller Länge aufgetaucht. Redtube und kein Ende: Jetzt ist das Gutachten über die GLADII-Software in voller Länge aufgetaucht.
Bild: Rynio-Productions - Fotolia.com
Eine zentrale Frage bei den Redtube-Abmahnungen ist, wie die Rechteinhaber an die IP-Adressen der Nutzer kommen konnten. Stets wurde auf ein Gutachten der Münchner Patent-Kanzlei Diehl verwiesen. Dieses war bis heute nicht öffentlich verfügbar. Lediglich Auszüge waren bekannt - diese hatte die Pressestelle des Landgerichts Köln verbreitet. Jetzt haben die Rechtsanwälte der Kanzlei Müller, Müller und Rößner Einblick in Gerichtsunterlagen erhalten und das vollständige Gutachten öffentlich zum Download bereit gestellt.

Der Gutachter spricht stets von Downloads

Redtube und kein Ende: Jetzt ist das Gutachten über die GLADII-Software in voller Länge aufgetaucht. Redtube und kein Ende: Jetzt ist das Gutachten über die GLADII-Software in voller Länge aufgetaucht.
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Die Begutachtung der Software erfolgte durch einen promovierten Physiker und geschäftsführenden Partner der Patent-Kanzlei Diehl und Partner. Über die Fachkenntnisse des Gutachters heißt es in einer kurzen Personenbeschreibung: "Aufgrund seiner Tätigkeit ist [er] mit den Technologien der Informationsverarbeitung und Informationsübertragung über das Internet in einem Maß vertraut, welches über das für die vorliegende Untersuchung notwendige Maß hinausgeht". Auf der Homepage der Kanzlei steht über den Gutachter: "[Er] benutzt und programmiert einen Web-Server zum Herunterladen von Patentdokumenten".

Die Software GLADII 1.1.3 verfüge über ein Webinterface, zu welchem der Gutachter Zugang hatte. Der Auftraggeber, die Firma itGuards, habe drei Videos auf drei unter­schied­lichen Streaming-Plattformen zum Test bestimmt. Interessanterweise findet sich unter den getesteten Diensten Redtube nicht. Statt von Streaming-Portalen spricht der Gutachter von Medien-Hostern. Wörtlich beschreibt er die Funktion der Dienste so: "Durch Anklicken eines Angebots eines Medien-Hosters durch den Benutzer wird der Download zum Computer des Benutzers gestartet, und die Darstellung des Videos erfolgt durch den in dem Webbrowser des Computers integrierten Video-Player".

Die Software will der Gutachter am 11. und am 21. Dezember 2012 mit den Browsern Firefox und Chrome getestet haben. Zu diesem Zeitpunkt war die Firma itGuards, mithin der Auftraggeber des Gutachtens, aber wohl noch nicht gegründet.

Der Gutachter beschreibt anhand eines Beispiels, welche Aktionen er auf der Webseite durchgeführt habe. Er habe die Hauptseite eines Dienstes und zum gleichen Zeitpunkt (!) das dort vorher bestimmte Video aufgerufen. Dann habe er ein Video gestartet und dieses mehrfach gestoppt und wieder gestartet. Auf dem Webinterface von GLADII 1.1.3 habe er festgestellt, dass genau diese Aktionen protokolliert wurden und auch die jeweiligen Zeitpunkte hätten stets übereingestimmt.

Anhand des Vergleichs der Aktionen und der dazugehörigen Protokolle der Ermittlungs-Software kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass "die von der Software 'GLADII 1.1.3' gewonnenen Daten auf tatsächlichen, in Echt-Zeit durchgeführten Messungen beruhen". Als Argument dafür führt der Gutachter an, dass seine Aktionen nicht vorhersehbar gewesen seien.

Weiteren Einblick in die Software - zum Beispiel Screenshots - gibt das Gutachten nicht. Es wird auch nicht auf Anlagen verwiesen, die die Rechtsanwälte von Müller, Müller, Rößner eventuell nicht mit veröffentlicht haben. Aus dem Gutachten geht lediglich hervor, dass die Weboberfläche in mehrere Abschnitte untergliedert ist und die Daten nach überwachten Hostern sortiert. Die Daten einzelner Besuche könne die Software als CSV- oder PDF-Datei exportieren.

Gutachten lückenhaft - Ermittlung der IP-Adressen weiter unklar

Das Gutachten kann wichtige Fragen nicht beantworten. Vollständig rätselhaft bleibt auch hier, wie die Software die IP-Adressen und Aktionen protokollieren kann. Für die Erfassung eines Downloads oder Streams muss der Ermittler Zugriff entweder auf den Rechner des Nutzers oder die Server des Anbieters erlangen.

Abschließend heißt es zum Testszenario und der Analyse der Daten: "Die bei den Tests durchgeführten Aktionen beruhen technisch auf üblichen Internet-Technologien, welche beim Einsatz in dem verwendeten Test-Szenario keine Bedenken hinsichtlich etwaigen Gesetzesverstößen erkennen ließen." Die rechtliche Einschätzung bleibt unbewiesen - zumal die Sammlung der Daten nicht offengelegt wird. Dies hatten auch einzelne Kammern des LG Köln kritisiert.

Auch der Aufruf der Videos selbst wirft Fragen auf: Wie kann der Tester die Startseite des Dienstes und das Video auf die Sekunde genau zeitgleich abrufen? Hierfür verweist der Gutachter auf den im Gutachten nicht existierenden Abschnitt 5.3 - ein Seitenverlust ist hier anhand der Seitennummerierung durch ein Fax-Gerät unwahrscheinlich.

itGuards Inc.: War die Firma zum Testzeitpunkt bereits gegründet?

Eine Firma itGuards Inc. wurde am 21. März 2013 in Delaware gemeldet. Ob es sich dabei um die Firma handelt, die das Gutachten in Auftrag gab, ist nicht vollkommen sicher - aber recht wahrscheinlich. Wäre dies der Fall bleibt fraglich, warum die Kanzlei einen Auftrag eines Unternehmens angenommen hat, das noch nicht einmal eingetragen ist.

In den Zielen des Gutachtens ist des Weiteren festgehalten, dass festzustellen sei, ob die Software die Identität der Dateien korrekt erfassen kann. Diese Fähigkeit wird mit keiner Silbe erwähnt. Einzig die URL des Videos wird protokolliert. Hier sind weitere Manipulationen denkbar: So könnte der Anbieter das Video austauschen. Jedenfalls kann die Software offenkundig nicht nachweisen, dass die Datei vollständig auf dem Rechner des Nutzers gelandet ist.

Wie der technische Hintergrund der Ermittlung der IP-Adressen einzuschätzen ist, erfahren Sie in unserer Meldung Editorial: Amandas schmutziges Geheimnis um die Redtube-Abmahnungen.

Gutachten spricht nicht von Tauschbörsen

Das Gutachten spricht explizit nicht von Tauschbörsen, sondern von Medien-Hostern. Auch bleibt im gesamten Gutachten stets transparent, dass es um das Betrachten eines Videos geht. Warum einige Richter des LG Köln in den Beschlüssen dennoch von Tauschbörsen sprachen, ist aus dem Gutachten selbst nicht ersichtlich.

Hier liegt auch ein entscheidender Knackpunkt des Verfahrens. Laden die Nutzer ein Video über eine Peer-to-Peer-Tauschbörse herunter, beteiligen sie sich gleichzeitig an der Vervielfältigung des Materials - denn sie schicken einzelne Teile der Datei an andere Nutzer. Hier ist die rechtliche Lage deutlich.

Im Falle des Streamings ist die Frage, ob nicht eine Schranke des Urheberrechts greift - viele Juristen und auch die Bundesregierung sind eben dieser Ansicht. Details dazu erfahren Sie in unserer ausführlichen Analyse dieser Rechtsfrage.

Fazit: Gutachten mit lückenhafter Beweisführung

Auch nach der Analyse des Gutachtens über die Software GLADII bleiben Fragen offen. Zwar beschreibt der Gutachter einige Aktionen, kann aber keine Auskünfte über die tatsächliche Funktionsweise geben. Er nimmt nur an, die Protokollierung erfolge in "Echt-Zeit".

Regelrecht skandalös ist, dass das Gutachten nicht auf die Überwachung von Redtube eingeht. Ebenso lückenhaft ist, wie der Tester auf das Video zugreift. Über einen direkten Klick kann dies nicht erfolgen - dafür reicht die angegebene Zeit nicht aus. Dass der Link einfach in die Browser-Zeile eingefügt wurde, ist ebenso zweifelhaft - immerhin spricht der Gutachter explizit davon, auf die Startseite "/" zugegriffen zu haben. Auf den technischen Unterschied eines Downloads und eines Video-Streams geht der Gutachter nicht ein.

Das veröffentlichte Gutachten bestätigt die Befürchtung, dass die Ermittlung der IP-Adressen der Redtube-Nutzer nicht offen gelegt wurde. Mit den Ausführungen können die abmahnenden Anwälte jedenfalls nicht darlegen, welche Rechtsverstöße ein Nutzer tatsächlich begangen haben könnte. Zweitrangig wäre dies immerhin dann, wenn die Verwertungsrechte gar nicht bei der Archive AG liegen.

Einen Überblick über die Redtube-Abmahnwelle geben wir Ihnen in unserer Meldung Redtube-Abmahnanwalt Thomas Urmann: Vom Jäger zum Gejagten. Weitere Informationen stellt zudem ein Wiki zu der Abmahnwelle zusammen.

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