Gastbeitrag

Digitale Infrastrukturen im Koa­litions­ver­trag: Mehr Schein als Sein

Nach zähem Ringen haben sich CDU, CSU und SPD auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. TK-Experte Gerpott spricht in seiner Analyse von "kurzsichtiger Effekthascherei", lobt aber auch einige Pläne.
Gastbeitrag von Torsten J. Gerpott

Torsten J. Gerpott zum Koalitionsvertrag Torsten J. Gerpott zum Koalitionsvertrag
Bild: Torsten J. Gerpott
Nach zähem Ringen haben sich CDU, CSU und SPD am 7.2.2018 (endlich) auf einen Koalitions­ver­trag für eine von ihnen getragene Bundes­re­gierung geeinigt. In dem 179 Seiten umfassenden Dokument tauchen die Worte "Digi­tali­sierung" und "digital" 528 Mal auf; Digi­tal­politik soll demnach in den nächsten Jahren zu einem zentralen Thema der Regierung werden. Die Koalitions­partner wollen bei der Nutzung von Informations­technik- und Tele­kommuni­kations­an­wendungen und -netzen "große Schritte wagen" und "deshalb ... den flächen­deckenden Ausbau mit Gigabit-Netzen bis 2025" erreichen.

Leistungsrückschau

Torsten J. Gerpott zum Koalitionsvertrag Torsten J. Gerpott zum Koalitionsvertrag
Bild: Torsten J. Gerpott
Die seit 2005 (!) erbrachten digitalpolitischen Leistungen der bislang von Angela Merkel geführten drei Bundesregierungen geben zunächst Anlass für Skepsis, ob die drei Parteien dazu in der Lage sein werden, sich auf diesem Politikfeld erfolgreich neu zu positionieren. So gab die zweite Regierung Merkel im Jahr 2009 das Ziel aus, dass bis 2014 für 75 Prozent der Haushalte Anschlüsse mit Empfangsdatenraten von mindestens 50 MBit/s zur Verfügung stehen sollten. Tatsächlich lag die Versorgungsquote Ende 2014 bei 66,4 Prozent, was eine Zielverfehlung von 8,6 Prozentpunkten bedeutet. Unverdrossen verkündete dann 2014 die Bundesregierung dafür sorgen zu wollen, dass bis Ende 2018 100 Prozent der Haushalte an ihrem Wohnort 50-MBit/s-Anschlüsse nutzen können. Tatsächlich erreicht werden dürfte Ende 2018 bundesweit eine Quote von 85 Prozent (auf dem Land sogar nur 45 Prozent), so dass die Verfehlung des zweiten Ziels mit 15 Prozentpunkten noch größer ausfallen wird als vier Jahre zuvor.

Die schwache Vorstellung der letzten Bundesregierung ist u.a. darauf zurückzuführen, dass öffentliche Fördermittel für Breitbandnetze viel zu spät (ab 2015, also nach 10 Jahren unter Kanzlerin Merkel) in zu geringem Umfang (nur 4 Mrd. Euro) und mittels im Detail schlecht gestalteter Verwaltungsprozesse (hoher Bürokratieaufwand, keine Abstimmung mit Programmen der Bundesländer, keine Konzentration auf Anschlüsse, die Häuser direkt mit Glasfaser anbinden) vergeben wurden. Zudem wurden im Bereich digitaler Anwendungen kaum Akzente gesetzt. Beispielsweise erfolgte die Weiterentwicklung der WLAN-Störerhaftung quälend langsam. Ähnlich versäumte es die letzte Bundesregierung bei innovativen eGovernment-Lösungen, Deutschlands großen Rückstand zur Weltspitze zu verkleinern.

Subventionen für Gigabit-Netze

Aber jetzt geben die Koalitionäre zu Protokoll, dass sie "den Weg in die Gigabit-Gesellschaft mit höchster Priorität" gestalten werden. Speziell zum Ausbau von Telekommunikationsnetzen in Deutschland setzt der Koalitionsvertrag auf vier Akzente. Erstens sieht er vor, dass bis Ende 2021 neue Netze mit 10 bis 12 Mrd. Euro durch den Bund gefördert werden. Ein Teil der Mittel soll aus den erwarteten Einnahmen "aus der Vergabe der UMTS- und 5G-Lizenzen" bereitgestellt werden. Bei der bevorstehenden Auktion von Mobilfunkfrequenzen werden – anders als im Jahr 2000 als sich noch sieben Interessenten um Lizenzen bemühten – die drei etablierten Unternehmen kaum mehr als 3 bis 4 Mrd. Euro für die insgesamt zur Vergabe anstehenden Frequenzen bieten. Damit verbleibt ein öffentlicher Finanzierungsbedarf von netto bis zu 9 Mrd. Euro. Die Regierungsparteien sind demnach – nach dem Motto "besser spät als nie" – durchaus willens, mehr Geld als in der letzten Legislaturperiode (, in der nebenbei bemerkt die Frequenzauktion 2015 über 5 Mrd. Euro in die Kasse des Bundes spülte,) für die Förderung des Baus von Gigabit-Netzen auszugeben.

Angesichts der langsamen bürokratischen Prozesse bei der Zuteilung der Staatsmittel durch das Verkehrsministerium und von Kapazitätsengpässen bei Tiefbau- und Netzmontageunternehmen ist allerdings zu bezweifeln, dass die Finanzmittel in den knapp vier Jahren bis zur nächsten Bundestagswahl überhaupt effizient für den Netzausbau ausgegeben werden können. Darüber hinaus ist nicht sicher, dass die Gelder ausschließlich in zukunftsfähige Anschlüsse investiert werden, die Glasfaser mindestens bis zum Gebäudekeller führen. Der Koalitionsvertrag sieht nämlich lediglich vor, Netze zu subventionieren, "die mit Glasfasertechnologie ausgebaut werden". Damit wird für die neue Bundesregierung die Möglichkeit offen gehalten, auch weiter im Einklang mit dem Interesse der Deutschen Telekom (VDSL-)Netze zu fördern, die Glasfaser nur bis in die Nähe von, aber nicht bis zum Gebäude führen und deren Gigabit-Fähigkeit von Experten in Frage gestellt wird.

Investitionsanreize durch wettbewerbsbetonendes Regulierungsmodell

Zweitens soll die Regierung "neue Anreize für den privatwirtschaftlichen Glasfaserausbau schaffen", indem sie "statt einer detaillierten ex-ante-Regulierung wie im bisherigen Kupfernetz ... ein Modell des diskriminierungsfreien Zugangs (im Sinne des Open-Access)" mit einer "ex-post-Kontrolle in Streitfällen" durch die Bundesnetzagentur realisiert. Dieser Regulierungsansatz für neue Breitbandinfrastrukturen steht prinzipiell im Einklang mit den Vorstellungen vieler Netzbetreiber in Deutschland und der Europäischen Kommission in Brüssel. Der Teufel steckt da jedoch im Detail der Gestaltung des Regulierungsrahmens. Diesbezüglich kommt zum einen noch viel Arbeit auf die zuständigen Bundesministerien zu. Zum anderen spricht wenig dafür, dass allein von einer Weiterentwicklung der Regulierung starke Investitionseffekte ausgehen. Dazu sind die Ausführungen im Koalitionsvertrag bei weitem zu vage und die Investitionsvolumina viel zu stark zusätzlich von anderen Faktoren (z.B. Nachfrageperspektiven, Wettbewerbssituation) abhängig.

Die Regierungsparteien geben sich aber sicher, dass sie durch die zusätzlichen Subventionen für Breitbandnetze "das Ziel eines flächendeckenden Zugangs zum schnellen Internet aller Bürgerinnen und Bürger erreichen [werden]". Deshalb wollen sie bis 2019 für Jedermann "einen rechtlich abgesicherten Anspruch zum 01.01.2025" auf einen Breitbandanschluss schaffen. Dieses Vorhaben bezieht sich zwar auf einen Zeitpunkt, zu dem das vierte Kabinett Merkel längst Geschichte sein wird, so dass mit ihm für die neue Bundesregierung keine Gefahr der (erneuten) Zielverfehlung verbunden ist. Es unterstützt den Breitbandausbau bis zum Ende der jetzigen Legislaturperiode (2021) aber nicht. Wenn ein solcher Rechtsanspruch bzw. Universaldienst eingeführt wird, dann schafft das Unsicherheit bei Unternehmen, die in neue Netze investieren (sollen). Die Anbieter werden im Zweifelsfall abwarten, wie die Regierung den Anspruch der Bürger (durch zusätzliche öffentliche Fördermittel nach 2021) unterfüttern wird und dementsprechend die Umsetzung von Investitionsplänen zurückstellen.

Darüber hinaus hilft dieser Anspruch weder Privathaushalten noch Unternehmen, da unklar ist, wie und gegen wen er geltend gemacht werden kann. Dass Ansprüche, die nicht umgesetzt werden können, wenig wert sind, zeigt im Telekommunikationsmarkt gerade das Beispiel der Tele­kommuni­kations­transparenz­ver­ordnung. Die letzte Bundesregierung hatte diese Verordnung 2016 erlassen, um sicherzustellen, dass Netzbetreiber ihre Kunden in Deutschland über bestimmte Leistungsaspekte informieren. Jüngste Studien belegen jedoch, dass etliche Informationspflichten von den Anbietern derzeit nur mangelhaft beachtet werden, ohne dass eine staatliche Instanz kurzfristig für Abhilfe sorgen kann. Ein ähnliches Schicksal ist auch für den Anspruch auf einen Breitbandzugang gemäß Koalitionsvertrag sehr wahrscheinlich. Er ist deshalb mehr als Placebo zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Sinn der Regierungsparteien denn als Element einer seriösen Wirtschaftspolitik zu bewerten.

Lückenloser Mobilfunk durch Lizenzauflagen

Drittens plant die Koalition eine verlässliche und lückenlose Mobilfunkversorgung insbesondere im ländlichen Raum dadurch zu forcieren, dass bei der "Vergabe der UMTS- und 5G-Lizenzen" das Prinzip "Neue Frequenzen nur gegen flächendeckende Versorgung" durchgesetzt werden soll. Voraussichtlich noch 2018 wird die Bundesnetzagentur zwar Frequenzen auf Basis einer Auktion neu zuteilen. Aber das jetzt zu vergebende Spektrum liegt in den Bereichen 2 GHz und 3,6 GHz, die aus technischer Sicht viel weniger zur kosteneffizienten Abdeckung dünn besiedelter Flächen geeignet sind als niedrigere Frequenzen. Entsprechendes Spektrum (im 800-MHz-Bereich) steht in Deutschland aber erst ab 2026 zur Wiedervergabe an.

So lange wollen die jetzigen Regierungsparteien aber nicht warten. Deshalb ignorieren sie nun physikalische Gesetzmäßigkeiten und verordnen, dass die Mobilfunknetzbetreiber 2-GHz-Frequenzen ab 2021 und 3,6-GHz-Frequenzen wahrscheinlich ab 2019 in unwirtschaftlicher Weise zum flächendeckenden Ausbau von 5G-Infrastrukturen zu verwenden haben. Damit verkleinern sie die Erlöse aus der bevorstehenden Versteigerung, weil die Frequenzen für die Mobilfunkanbieter durch sehr strenge Flächendeckungsauflagen ökonomisch an Wert verlieren. Diese Einnahmeminderung erhöht für den gewünschten Glasfasernetzausbau (s.o.) das Volumen der öffentlichen Fördermittel, die aus anderen Quellen zu finanzieren sind. Darüber hinaus liegt es nahe, dass die (drei) Mobilfunkanbieter, die demnächst zu einem großen Teil erst kurz vor Ende der Amtszeit der neuen Bundesregierung ab 2021 frei werdende Frequenzen ersteigern werden, die von ihnen zu tragenden zusätzlichen Investitionen für einen Flächenausbau über höhere Preise an die Kunden in Deutschland weiter reichen werden.

Im Ergebnis sind somit die Pläne im Koalitionsvertrag zur Verringerung von Lücken bei der Breitbandversorgung durch frequenzpolitische Maßnahmen als kurzsichtige Effekthascherei einzustufen. Ähnlich wird auch die im Koalitionsvertrag enthaltene Ankündigung einer "5x5G-Strategie", gemäß der "fünf Regionen prioritär mit einem entsprechenden Mobilfunkstandard ausgestattet" werden sollen, Deutschland auf dem Weg in die Gigabit-Gesellschaft nicht wesentlich voran bringen. Sie ist in finanzieller, zeitlicher und organisatorischer Hinsicht materiell ebenso dünn wie die 2017 verbreitete 5G-Strategie der letzten Regierung.

Geradezu rührend ist das Vorhaben von der Bundesnetzagentur, eine App entwickeln zu lassen, mit der "Bürger einfach ... Funklöcher an die Behörde melden können", die dann in einer Versorgungskarte veröffentlicht werden sollen. Die Prangerfunktion einer solchen Karte wird nicht ausreichen, um Mobilfunknetzbetreiber dazu zu bewegen, die Qualität ihrer Leistungen deutlich zu erhöhen.

Digitalagentur auf dem Abstellgleis

Viertens wollen CDU, CSU und SPD "die Einrichtung einer Digitalagentur prüfen, die die Bundesregierung als nachgeordnete Instanz in der Umsetzung der Maßnahmen [im Bereich Digitalpolitik] unterstützt." Die organisatorische Absicherung der Digitalpolitik durch stärkere Kompetenzzentralisierung wird also über einen Prüfauftrag auf unbestimmte Zeit auf ein Abstellgleis verschoben. Verschiedene Ministerien in Berlin werden folglich (weiter) mehr oder minder koordiniert auf Investitionen in und die Nutzung von Informations- und Tele­kommuni­kations­netzen und -anwendungen in Deutschland einwirken.

Vernachlässigung von Nachfragern und eGovernment

Jenseits der umrissenen vier politischen Absichtserklärungen im Bereich der digitalen Infrastruktur enthält der Koalitionsvertrag nur wenig Konkretes zur Stärkung der Nachfrage von digitalen Diensten. Beispielhaft sind hier die Ausführungen zur Schließung der digitalen Kluft zwischen jungen und alten Menschen. So versichern die Regierungsparteien, "ältere Menschen bei der Digitalisierung nicht allein [zu lassen]". Offen bleibt jedoch, was diesbezüglich von wem bis wann mit welchem Mitteleinsatz getan werden soll. Gleiches gilt für den "Weg in die digitale Verwaltung", auf dem bis Ende 2021 gerade einmal 1,5 Euro pro Einwohner und Jahr "für die Umsetzung des Gesetzes zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen" ausgegeben werden sollen. Anstatt gehaltvolle eGovernment-Ziele und -Investitionen wenigstens etwas präziser zu umreißen, setzt der Koalitionsvertrag auf einen "Digitalrat .., der einen engen Austausch zwischen Politik und nationalen sowie internationalen Experten ermöglicht." Ein solcher Rat verursacht zwar kaum Kosten, seine politische Durchschlagskraft gleicht allerdings der eines Wattebausches. Demgegenüber sind für den Bund teurere steuerliche Erleichterungen für Geschäfts- und Privatkunden, die sich neu an Gigabit-Netze anschließen lassen wollen, nicht vorgesehen.

Alles in allem werden im Koalitionsvertrag einige wichtige Schritte zur Verbesserung der Position Deutschlands im Bereich der digitalen Infrastruktur und Anwendungen skizziert. Sie reichen jedoch bei weitem nicht aus, um die großen Versäumnisse der letzten drei Bundesregierungen auszugleichen und das Land auf diesem Feld an die Weltspitze zu führen.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen.

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