liberalisiert

Editorial: EU: Gemächlich zu mehr Roaming-Wettbewerb

Vorlage der EU-Kommission mit vielen guten Ideen
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Wichtig sind zudem noch zwei weitere Punkte: Die Verbraucher werden Roaming-Pre-Selection nur akzeptieren, wenn diese nachweislich zu günstigeren Gesprächsentgelten führt. Wie auch schon beim Festnetz-Call-by-Call oder beim Internet-by-Call könnten Anbieter auch bei der Roaming-Pre-Selection versuchen, Kunden zunächst mit günstigen Preisen anzulocken, und später die Preise kräftig erhöhen, um mit den Kunden, die die Voreinstellung dann nicht erneut ändern, gutes Geld zu verdienen.

Von der EU-Kommission ist vorgesehen, dass der Kunde beim Grenzübertritt künftig eine Liste mit Roaming-Tarifen angezeigt bekommt, aus der er wählen kann. Das ist eine gute Idee. Ebenso wichtig ist aber, dass der Kunde auch seinen aktuellen Tarif angezeigt bekommt, um diesen mit den angebotenen Tarifen vergleichen zu können! Letztendlich ist die Einführung der Roaming-Pre-Selection ein sehr guter Zeitpunkt, um auch eine alte Forderung aus dem Verbraucherschutz endlich umzusetzen: Digitale Tarifinformation in digitalen Netzen. Diese muss kostenlos sein, auf Wunsch bereits vor dem Gespräch, auf jeden Fall aber während und nach der Verbindung, und sie muss rechtlich verbindlich sein. Es kann nicht sein, dass man auf einem Smartphone mit wenigen "Klicks" die aktuellen Börsenkurse, das Wetter von morgen (gut, mit einer gewissen Unschärfe) oder die Fußball-Ergebnisse von gestern abfragen kann, aber auf die Frage: "Was hat das letzte Gespräch gekostet" keine Antwort erhält.

Preis-Niveau muss überwacht werden

Als weitere Maßnahme ist eine verbesserte Missbrauchsaufsicht bei den Endkundenentgelten dringend nötig. Insbesondere muss es möglich sein, dass die Gerichte bei stark überhöhten Preisen die Entgelte auf das marktübliche Niveau reduzieren oder gar den Verbraucher komplett von der Zahlung freistellen. Das ist zwar im Fall des Wuchers schon heute grundsätzlich möglich, jedoch ist zur Anwendung des Wucher-Paragraphen neben der Überhöhung der Preise auch eine besonders verwerfliche Gesinnung des jeweiligen Anbieters der Leistung erforderlich. Letztere wird von den Gerichten aber fast immer verneint, selbst in Extremfällen, wenn beispielsweise ein zweiminütiger 50-MB-Download mit einer Altkarte mehr kostet als zwei Jahre Laptop-Datenflatrate mit einer Neukarte. Schließlich war der Alttarif auf der Altkarte zu GPRS-Zeiten noch akzeptabel.

Die gerichtliche Missbrauchsaufsicht sollte darauf abzielen, in Fällen, in denen die abgerechneten Kosten im offensichtlich starken Missverhältnis zu den Kosten stehen, die einem kundigen Verbraucher entstanden wären, die Kosten auf die des kundigen Verbrauchers zu reduzieren. Klar kann, darf und soll es Differenzierungen zwischen den Tarifen geben, inklusive dem Umstand, dass man im falschen Tarif auch zu viel bezahlen muss. Und so ist es trotz des relativ großen Unterschieds akzeptabel, wenn der eine Verbraucher für eine Leistung 5 Cent monatlich ausgibt und ein anderer für dieselbe Leistung 300 Cent. Stehen hingegen 5 Euro versus 300 Euro auf dem Zähler für dieselbe Leistung, sollte die neue Missverhältnis-Regelung definitiv zuschnappen!

Ziel der genannten gerichtlichen Aufsicht ist, auch bei Tarifen, auf die das EU-Parlament keinen Einfluss hat, etwa bei mobilen Auslandstelefonaten oder nationaler Datennutzung, ein Korrektiv einzuführen. Denn es kann nicht die Aufgabe des Parlaments sein, in sozialistischer Manier regelmäßig den Höchstpreis für die Brötchen, eh Minuten, im Standardtarif festzulegen.

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