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Editorial: Wir wollen alles wissen!

Onlinedurchsuchungen sind äußerst fragwürdig
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Staatliche Ermittlungsbeamte sind - wie alle anderen Menschen auch - faul: Sie wollen mit möglichst wenig Einsatz und möglichst wenig Risiko möglichst viel erreichen, also möglichst viele Straftaten aufklären. So ist es kein Wunder, dass die Zahl der abgehörten Telefonanschlüsse immer weiter ansteigt und nun auch die Möglichkeit zur Überwachung von Internet-PCs immer stärker gefordert wird. Lässt sich doch durch die Telefonüberwachung in vielen Fällen viel belastendes Material finden - und das bequem vom Schreibtisch aus. Vor Ort wäre es in vielen Fällen schwieriger und gefährlicher, Erkenntnisse zu gewinnen. Noch eine der geringeren Gefahren ist etwa, dass der Täter durch eine Observation auf die Ermittler aufmerksam wird und flieht. Im Extremfall kann ein gewalttätiger Täter sogar die Ermittler angreifen.

Doch darf sich der Staat bei der Wahl seiner Mittel nicht nur von der vermeintlichen Effizienz leiten lassen. Er muss auch die Rechtsstaatlichkeit im Auge behalten. Wenn er seinen Ermittlern Kompetenzen gibt, die er normalen Bürgern nicht einräumt, dann muss das jeweils gut begründet werden. Jüngst erst wurde eine erhebliche Strafverschärfung für das Eindringen in fremde Computer und Netzwerke beschlossen. Andererseits möchte der Staat den Ermittlungsbehörden genau das - nämlich das Eindringen in fremde Computer per Bundestrojaner - ausdrücklich erlauben.

Der "Kernbereich des Privaten"

Beim "großen Lauschangriff" sprach das Bundesverfassungsgericht damals von einem "Kernbereich des Privaten", in dem der Staat nicht einfach so schnüffeln darf, nicht einmal dann, wenn dieses per Gesetz geregelt ist und Straftaten erheblichen Gewichts (wie Mord oder Menschenhandel) ermittelt werden sollen. Es ist jedoch zu befürchten, dass dieses Gericht den PC und die darauf gespeicherten Daten nicht diesem "Kernbereich des Privaten" zuordnet - schließlich kann ja jeder selbst entscheiden, was er speichert und was nicht. Zudem könnten bei einer normalen Hausdurchsuchung der PC und die darauf gespeicherten Daten auch jederzeit beschlagnahmt und dann eingesehen werden.

So sprechen vor allem technische Argumente gegen die Onlinedurchsuchungen. Das beginnt schon beim Eindringen des Bundestrojaners in den zu untersuchenden Rechner. Hier können schnell auch die PCs Unbeteiligter befallen werden. Denn E-Mails werden nicht nur am Privat-PC, sondern per Web-Mail auch im Internet-Café oder bei einem Freund gelesen. Ebenso ist es schwierig, zu ermitteln, ob man im richtigen Rechner angekommen ist. Ein gewiefter Straftäter könnte eine virtuelle Maschine aufsetzen, die speziell dafür gedacht ist, den Bundestrojaner zu fangen und diesem dann falsche Spuren unterzuschieben.

Ebenso besteht Manipulationsgefahr: Trojaner können ja nicht nur Dateien vom PC der überwachten Person zur Polizei kopieren sondern auch in die andere Richtung. Was passiert, wenn ein von Erfolgslosigkeit genervter Ermittler dem mutmaßlichen Täter per Bundestrojaner die entscheidenen Beweise unterschiebt? Hat der mutmaßliche Täter überhaupt die Chance, sich gegen ein solches Komplott zu wehren? Falls nicht, spricht das eindeutig gegen die gerichtliche Verwertbarkeit der per Bundestrojaner ermittelten Umstände.

Keine Skrupel vor Lauschangriffen

Fakt ist aber auch: Nachrichtendienste hatten noch nie irgendwelche Skrupel vor irgendwie gearteten Lauschaktionen. Und was Hacker und Spammer können - nämlich Schadsoftware auf den Computern ihrer Opfer installieren - können die Geheimdienste schon lange. Onlinedurchsuchungen werden von diesen somit schon seit langem benutzt. Sie etwa dem BND zu verbieten, würde auch kaum Früchte tragen: Dieser würde die Durchsuchungen dann halt bei einem der befreundeten Dienste (etwa CIA) beauftragen und die Ergebnisse kaufen. Nur sind solche geheimdienstlichen Ermittlungsakten vor einem ordentlichen Gericht als Beweismittel nicht zugelassen.

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